Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 339

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 machen, die mit ihnen verwandt sind und analogische Vorstellungen unserer      
  02 Sinne erwecken, die wohl nicht der geistige Begriff selber, aber doch deren      
  03 Symbolen sind. Denn es ist doch immer eben dieselbe Substanz, die zu      
  04 dieser Welt sowohl als zu der andern wie ein Glied gehört, und beiderlei      
  05 Art von Vorstellungen gehören zu demselben Subjecte und sind mit einander      
  06 verknüpft. Die Möglichkeit hievon können wir einigermaßen dadurch      
  07 faßlich machen, wenn wir betrachten, wie unsere höhere Vernunftbegriffe,      
  08 welche sich den geistigen ziemlich nähern, gewöhnlichermaßen      
  09 gleichsam ein körperlich Kleid annehmen, um sich in Klarheit zu setzen.      
  10 Daher die moralische Eigenschaften der Gottheit unter den Vorstellungen      
  11 des Zorns, der Eifersucht, der Barmherzigkeit, der Rache, u. d. g.      
  12 vorgestellt werden; daher personificiren Dichter die Tugenden, Laster oder      
  13 andere Eigenschaften der Natur, doch so, daß die wahre Idee des Verstandes      
  14 hindurchscheint; so stellt der Geometra die Zeit durch eine Linie vor,      
  15 obgleich Raum und Zeit nur eine Übereinkunft in Verhältnissen haben      
  16 und also wohl der Analogie nach, niemals aber der Qualität nach mit      
  17 einander übereintreffen; daher nimmt die Vorstellung der göttlichen Ewigkeit      
  18 selbst bei Philosophen den Schein einer unendlichen Zeit an, so sehr      
  19 wie man sich auch hütet beide zu vermengen, und eine große Ursache, weswegen      
  20 die Mathematiker gemeiniglich abgeneigt sind, die Leibnizische Monaden      
  21 einzuräumen, ist wohl diese, daß sie nicht umhin können sich an      
  22 ihnen kleine Klümpchen vorzustellen. Daher ist es nicht unwahrscheinlich,      
  23 daß geistige Empfindungen in das Bewußtsein übergehen könnten, wenn      
  24 sie Phantasien erregen, die mit ihnen verwandt sind. Auf diese Art würden      
  25 Ideen, die durch einen geistigen Einfluß mitgetheilt sind, sich in die      
  26 Zeichen derjenigen Sprache einkleiden, die der Mensch sonst im Gebrauch      
  27 hat, die empfundene Gegenwart eines Geistes in das Bild einer menschlichen      
  28 Figur, Ordnung und Schönheit der immateriellen Welt in Phantasien,      
  29 die unsere Sinne sonst im Leben vergnügen, etc.      
           
  30 Diese Art der Erscheinungen kann gleichwohl nicht etwas Gemeines      
  31 und Gewöhnliches sein, sondern sich nur bei Personen eräugnen, deren      
  32 Organen*) eine ungewöhnlich große Reizbarkeit haben, die Bilder der      
           
    *) Ich verstehe hierunter nicht die Organen der äußeren Empfindung, sondern das Sensorium der Seele, wie man es nennt, d. i. denjenigen Theil des Gehirnes, dessen Bewegung die mancherlei Bilder und Vorstellungen der denkenden Seele zu begleiten pflegt, wie die Philosophen dafür halten.      
           
     

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