| Kant: AA II, M. Immanuel Kants Nachricht ... , Seite 308 | |||||||
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| 01 | gnug gelernt hätten, um solche wiederum zu lehren: warum andererseits | ||||||
| 02 | selten einer ist, der sich nicht in allem Ernste einbilden sollte, daß außer | ||||||
| 03 | seiner übrigen Beschäftigung es ihm ganz möglich wäre etwa Logik, Moral | ||||||
| 04 | u. d. g. vorzutragen, wenn er sich mit solchen Kleinigkeiten bemengen | ||||||
| 05 | wollte. Die Ursache ist, weil in jenen Wissenschaften ein gemeinschaftlicher | ||||||
| 06 | Maßstab da ist, in dieser aber ein jeder seinen eigenen hat. Imgleichen | ||||||
| 07 | wird man deutlich einsehen, daß es der Philosophie sehr unnatürlich sei | ||||||
| 08 | eine Brodkunst zu sein, indem es ihrer wesentlichen Beschaffenheit widerstreitet, | ||||||
| 09 | sich dem Wahne der Nachfrage und dem Gesetze der Mode zu bequemen, | ||||||
| 10 | und daß nur die Nothdurft, deren Gewalt noch über die Philosophie | ||||||
| 11 | ist, sie nöthigen kann, sich in die Form des gemeinen Beifalls zu | ||||||
| 12 | schmiegen. | ||||||
| 13 | Diejenige Wissenschaften, welche ich in dem jetzt angefangenen halben | ||||||
| 14 | Jahre durch Privatvorlesungen vorzutragen und völlig abzuhandeln gedenke, | ||||||
| 15 | sind folgende: | ||||||
| 16 | 1. Metaphysik. Ich habe in einer kurzen und eilfertig abgefaßten | ||||||
| 17 | Schrift*) zu zeigen gesucht: daß diese Wissenschaft unerachtet der großen | ||||||
| 18 | Bemühungen der Gelehrten um deswillen noch so unvollkommen und unsicher | ||||||
| 19 | sei, weil man das eigenthümliche Verfahren derselben verkannt hat, | ||||||
| 20 | indem es nicht synthetisch, wie das von der Mathematik, sondern analytisch | ||||||
| 21 | ist. Diesem zufolge ist das Einfache und Allgemeinste in der | ||||||
| 22 | Größenlehre auch das Leichteste, in der Hauptwissenschaft aber das | ||||||
| 23 | Schwerste, in jener muß es seiner Natur nach zuerst, in dieser zuletzt vorkommen. | ||||||
| 24 | In jener fängt man die Doctrin mit den Definitionen an, in | ||||||
| 25 | dieser endigt man sie mit denselben und so in andern Stücken mehr. Ich | ||||||
| 26 | habe seit geraumer Zeit nach diesem Entwurfe gearbeitet, und indem mir | ||||||
| 27 | ein jeglicher Schritt auf diesem Wege die Quellen der Irrthümer und das | ||||||
| 28 | Richtmaß des Urtheils entdeckt hat, wodurch sie einzig und allein vermieden | ||||||
| 29 | werden können, wenn es jemals möglich ist sie zu vermeiden, so | ||||||
| 30 | hoffe ich in kurzem dasjenige vollständig darlegen zu können, was mir zur | ||||||
| 31 | Grundlegung meines Vortrages in der genannten Wissenschaft dienen | ||||||
| 32 | kann. Bis dahin aber kann ich sehr wohl durch eine kleine Biegung den | ||||||
| 33 | Verfasser, dessen Lesebuch ich vornehmlich um des Reichthums und der | ||||||
| 34 | Präcision seiner Lehrart willen gewählt habe, den A. G. Baumgarten, in | ||||||
| *) Die zweite von den Abhandlungen, welche die K. A. d. W. in Berlin bei Gelegenheit des Preises auf das Jahr 1763 herausgegeben hat. | |||||||
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