| Kant: AA II, Untersuchung über die ... , Seite 297 | |||||||
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| 01 | eines Wesens. Um darauf zu kommen, könnte er zuerst fragen: ob es | ||||||
| 02 | möglich sei, daß ganz und gar nichts existire. Wenn er nun inne | ||||||
| 03 | wird, daß alsdann gar kein Dasein gegeben ist, auch nichts zu denken, | ||||||
| 04 | und keine Möglichkeit statt finde, so darf er nur den Begriff von dem | ||||||
| 05 | Dasein desjenigen, was aller Möglichkeit zum Grunde liegen muß, untersuchen. | ||||||
| 06 | Dieser Gedanke wird sich erweitern und den bestimmten Begriff | ||||||
| 07 | des schlechterdings nothwendigen Wesens festsetzen. Allein ohne mich in | ||||||
| 08 | diesen Plan besonders einzulassen, so bald das Dasein des einigen vollkommensten | ||||||
| 09 | und nothwendigen Wesens erkannt ist, so werden die Begriffe | ||||||
| 10 | von dessen übrigen Bestimmungen viel abgemessener, weil sie immer die | ||||||
| 11 | größten und vollkommensten sind, und viel gewisser, weil nur diejenige | ||||||
| 12 | eingeräumt werden können, die da nothwendig sind, ich soll z. E. den Begriff | ||||||
| 13 | der göttlichen Allgegenwart bestimmen. Ich erkenne leicht, daß | ||||||
| 14 | dasjenige Wesen, von welchem alles andre abhängt, indem es selbst unabhängig | ||||||
| 15 | ist, durch seine Gegenwart zwar allen andern der Welt den Ort | ||||||
| 16 | bestimmen werde, sich selber aber keinen Ort unter ihnen, indem es alsdann | ||||||
| 17 | mit zur Welt gehören würde. Gott ist also eigentlich an keinem | ||||||
| 18 | Orte, aber er ist allen Dingen gegenwärtig in allen Orten, wo die | ||||||
| 19 | Dinge sind. Eben so sehe ich ein, daß, indem die auf einander folgende | ||||||
| 20 | Dinge der Welt unter seiner Gewalt sind, er dadurch sich nicht selbst einen | ||||||
| 21 | Zeitpunkt in dieser Reihe bestimme, mithin daß in Ansehung seiner nichts | ||||||
| 22 | vergangen oder künftig ist. Wenn ich also sage: Gott sieht das Künftige | ||||||
| 23 | vorher, so heißt dieses nicht so viel: Gott sieht dasjenige, was in Ansehung | ||||||
| 24 | seiner künftig ist, sondern: was gewissen Dingen der Welt künftig | ||||||
| 25 | ist, d. i. auf einen Zustand derselben folgt. Hieraus ist zu erkennen,daß | ||||||
| 26 | die Erkenntniß des Künftigen, Vergangenen und Gegenwärtigen in Ansehung | ||||||
| 27 | der Handlung des göttlichen Verstandes gar nicht verschieden sei, | ||||||
| 28 | sondern daß er sie alle als wirkliche Dinge des Universum erkenne; und man | ||||||
| 29 | kann viel bestimmter und deutlicher dieses Vorhersehen sich an Gott vorstellen, | ||||||
| 30 | als an einem Dinge, welches zu dem Ganzen der Welt mit gehörte. | ||||||
| 31 | In allen Stücken demnach, wo nicht ein Analogon der Zufälligkeit | ||||||
| 32 | anzutreffen, kann die metaphysische Erkenntniß von Gott sehr gewiß sein. | ||||||
| 33 | Allein das Urtheil über seine freie Handlungen, über die Vorsehung, über | ||||||
| 34 | das Verfahren seiner Gerechtigkeit und Güte, da selbst in den Begriffen, | ||||||
| 35 | die wir von diesen Bestimmungen an uns haben, noch viel Unentwickeltes | ||||||
| 36 | ist, können in dieser Wissenschaft nur eine Gewißheit durch Annäherung | ||||||
| 37 | haben, oder eine, die moralisch ist. | ||||||
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