Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 254 |
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| 01 | nichts als die Ehre eines griechischen Namens voraus hat. Alle | ||||||
| 02 | diese Wilde haben wenig Gefühl für das Schöne im moralischen Verstande, | ||||||
| 03 | und die großmüthige Vergebung einer Beleidigung, die zugleich | ||||||
| 04 | edel und schön ist, ist als Tugend unter den Wilden völlig unbekannt, sondern | ||||||
| 05 | wird wie eine elende Feigheit verachtet. Tapferkeit ist das größte | ||||||
| 06 | Verdienst des Wilden und Rache seine süßeste Wollust. Die übrigen Eingeborne | ||||||
| 07 | dieses Welttheils zeigen wenig Spuren eines Gemüthscharakters, | ||||||
| 08 | welcher zu feineren Empfindungen aufgelegt wäre, und eine außerordentliche | ||||||
| 09 | Fühllosigkeit macht das Merkmal dieser Menschengattungen aus. | ||||||
| 10 | Betrachten wir das Geschlechter=Verhältniß in diesen Welttheilen, so | ||||||
| 11 | finden wir, daß der Europäer einzig und allein das Geheimniß gefunden | ||||||
| 12 | hat, den sinnlichen Reiz einer mächtigen Neigung mit so viel Blumen | ||||||
| 13 | zu schmücken und mit so viel Moralischem zu durchflechten, daß er die Annehmlichkeiten | ||||||
| 14 | desselben nicht allein überaus erhöht, sondern auch sehr anständig | ||||||
| 15 | gemacht hat. Der Bewohner des Orients ist in diesem Punkte | ||||||
| 16 | von sehr falschem Geschmacke. Indem er keinen Begriff hat von dem sittlich | ||||||
| 17 | Schönen, das mit diesem Triebe kann verbunden werden, so büßt er | ||||||
| 18 | auch sogar den Werth des sinnlichen Vergnügens ein, und sein Haram ist | ||||||
| 19 | ihm eine beständige Quelle von Unruhe. Er geräth auf allerlei verliebte | ||||||
| 20 | Fratzen, worunter das eingebildete Kleinod eins der vornehmsten ist, dessen | ||||||
| 21 | er sich vor allem zu versichern sucht, dessen ganzer Werth nur darin besteht, | ||||||
| 22 | daß man es zerbricht, und von welchem man überhaupt in unserem Welttheil | ||||||
| 23 | viel hämischen Zweifel hegt, und zu dessen Erhaltung er sich sehr unbilliger | ||||||
| 24 | und öfters ekelhafter Mittel bedient. Daher ist die Frauensperson | ||||||
| 25 | daselbst jederzeit im Gefängnisse, sie mag nun ein Mädchen sein, oder | ||||||
| 26 | einen barbarischen, untüchtigen und jederzeit argwöhnischen Mann haben. | ||||||
| 27 | In den Ländern der Schwarzen was kann man da besseres erwarten, | ||||||
| 28 | als was durchgängig daselbst angetroffen wird, nämlich das weibliche | ||||||
| 29 | Geschlecht in der tiefsten Sklaverei? Ein Verzagter ist allemal ein strenger | ||||||
| 30 | Herr über den Schwächeren, so wie auch bei uns derjenige Mann | ||||||
| 31 | jederzeit ein Tyrann in der Küche ist, welcher außer seinem Hause sich | ||||||
| 32 | kaum erkühnt jemanden unter die Augen zu treten. Der Pater Labat | ||||||
| 33 | meldet zwar, daß ein Negerzimmermann, dem er das hochmüthige Verfahren | ||||||
| 34 | gegen seine Weiber vorgeworfen, geantwortet habe: Ihr Weiße | ||||||
| 35 | seid rechte Narren, denn zuerst räumet ihr euren Weibern so | ||||||
| 36 | viel ein, und hernach klagt ihr, wenn sie euch den Kopf toll | ||||||
| 37 | machen; es ist auch, als wenn hierin so etwas wäre, was vielleicht verdiente | ||||||
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