Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 248 |
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01 | indem er im Ehestande seiner Frauen gemeiniglich ein unumschränktes | ||||||
02 | Ansehen einräumt. Er ist standhaft, bisweilen bis zur Hartnäckigkeit, | ||||||
03 | kühn und entschlossen, oft bis zur Vermessenheit und handelt nach Grundsätzen | ||||||
04 | gemeiniglich bis zum Eigensinne. Er wird leichtlich ein Sonderling, | ||||||
05 | nicht aus Eitelkeit, sondern weil er sich wenig um andre bekümmert | ||||||
06 | und seinem Geschmacke aus Gefälligkeit oder Nachahmung nicht leichtlich | ||||||
07 | Gewalt thut; um deswillen wird er selten so sehr geliebt als der Franzose, | ||||||
08 | aber, wenn er gekannt ist, gemeiniglich mehr hochgeachtet. | ||||||
09 | Der Deutsche hat ein gemischtes Gefühl aus dem eines Engländers | ||||||
10 | und dem eines Franzosen, scheint aber dem ersteren am nächsten zu kommen, | ||||||
11 | und die größere Ähnlichkeit mit dem letzteren ist nur gekünstelt und | ||||||
12 | nachgeahmt. Er hat eine glückliche Mischung in dem Gefühle sowohl des | ||||||
13 | Erhabenen und des Schönen; und wenn er in dem ersteren es nicht einem | ||||||
14 | Engländer, im zweiten aber dem Franzosen nicht gleich thut, so übertrifft | ||||||
15 | er sie beide, in so fern er sie verbindet. Er zeigt mehr Gefälligkeit im Umgange | ||||||
16 | als der erstere, und wenn er gleich nicht so viel angenehme Lebhaftigkeit | ||||||
17 | und Witz in die Gesellschaft bringt, als der Franzose, so äußert er doch | ||||||
18 | darin mehr Bescheidenheit und Verstand. Er ist, so wie in aller Art des | ||||||
19 | Geschmacks, also auch in der Liebe ziemlich methodisch, und indem er das | ||||||
20 | Schöne mit dem Edlen verbindet, so ist er in der Empfindung beider kalt | ||||||
21 | genug, um seinen Kopf mit den Überlegungen des Anstandes, der Pracht | ||||||
22 | und des Aufsehens zu beschäftigen. Daher sind Familie, Titel und Rang | ||||||
23 | bei ihm sowohl im bürgerlichen Verhältnisse als in der Liebe Sachen von | ||||||
24 | großer Bedeutung. Er frägt weit mehr als die vorige darnach, was die | ||||||
25 | Leute von ihm urtheilen möchten, und wo etwas in seinem Charaktere | ||||||
26 | ist, das den Wunsch einer Hauptverbesserung rege machen könnte, | ||||||
27 | so ist es diese Schwachheit, nach welcher er sich nicht erkühnt original zu | ||||||
28 | sein, ob er gleich dazu alle Talente hat, und daß er sich zu viel mit der | ||||||
29 | Meinung anderer einläßt, welches den sittlichen Eigenschaften alle Haltung | ||||||
30 | nimmt, indem es sie wetterwendisch und falsch gekünstelt macht. | ||||||
31 | Der Holländer ist von einer ordentlichen und emsigen Gemüthsart, | ||||||
32 | und indem er lediglich auf das Nützliche sieht, so hat er wenig Gefühl für | ||||||
33 | dasjenige, was im feineren Verstande schön oder erhaben ist. Ein großer | ||||||
34 | Mann bedeutet bei ihm eben so viel als ein reicher Mann, unter dem | ||||||
35 | Freunde versteht er seinen Correspondenten, und ein Besuch ist ihm sehr | ||||||
36 | langweilig, der ihm nichts einbringt. Er macht den Contrast sowohl | ||||||
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