Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 209

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ist schön. Gemüthsarten, die ein Gefühl für das Erhabene besitzen, werden      
  02 durch die ruhige Stille eines Sommerabendes, wenn das zitternde      
  03 Licht der Sterne durch die braune Schatten der Nacht hindurch bricht und      
  04 der einsame Mond im Gesichtskreise steht, allmählig in hohe Empfindungen      
  05 gezogen, von Freundschaft, von Verachtung der Welt, von Ewigkeit.      
  06 Der glänzende Tag flößt geschäftigen Eifer und ein Gefühl von Lustigkeit      
  07 ein. Das Erhabene rührt, das Schöne reizt. Die Miene des Menschen,      
  08 der im vollen Gefühl des Erhabnen sich befindet, ist ernsthaft, bisweilen      
  09 starr und erstaunt. Dagegen kündigt sich die lebhafte Empfindung des      
  10 Schönen durch glänzende Heiterkeit in den Augen, durch Züge des Lächlens      
  11 und oft durch laute Lustigkeit an. Das Erhabene ist wiederum verschiedener      
  12 Art. Das Gefühl desselben ist bisweilen mit einigem Grausen oder      
  13 auch Schwermuth, in einigen Fällen blos mit ruhiger Bewunderung und      
  14 in noch andern mit einer über einen erhabenen Plan verbreiteten Schönheit      
  15 begleitet. Das erstere will ich das Schreckhaft=Erhabene, das      
  16 zweite das Edle und das dritte das Prächtige nennen. Tiefe Einsamkeit      
  17 ist erhaben, aber auf eine schreckhafte Art.*) Daher große, weitgestreckte      
           
    *) Ich will nur ein Beispiel von dem edlen Grausen geben, welches die Beschreibung einer gänzlichen Einsamkeit einflößen kann, und ziehe um deswillen einige Stellen aus Carazans Traum im Brem. Magazin, Band IV, Seite 539 aus. Dieser karge Reiche hatte nach dem Maße, als seine Reichthümer zunahmen, sein Herz dem Mitleiden und der Liebe gegen jeden andern verschlossen. Indessen, so wie die Menschenliebe in ihm erkaltete, nahm die Emsigkeit seiner Gebeter und der Religionshandlungen zu. Nach diesem Geständnisse fährt er also fort zu reden: An einem Abende, da ich bei meiner Lampe meine Rechnungen zog und den Handlungsvortheil überschlug, überwältigte mich der Schlaf. In diesem Zustande sah ich den Engel des Todes wie einen Wirbelwind über mich kommen, er schlug mich, ehe ich den schrecklichen Streich abbitten konnte. Ich erstarrte, als ich gewahr ward, daß mein Loos für die Ewigkeit geworfen sei, und daß zu allem Guten, das ich verübt, nichts konnte hinzugethan und von allem Bösen, das ich gethan, nichts konnte hinweggenommen werden. Ich ward vor den Thron dessen, der in dem dritten Himmel wohnt, geführt. Der Glanz, der vor mir flammte, redete mich also an: Carazan, dein Gottesdienst ist verworfen. Du hast dein Herz der Menschenliebe verschlossen und deine Schätze mit einer eisernen Hand gehalten. Du hast nur für dich selbst gelebt, und darum sollst du auch künftig in Ewigkeit allein und von aller Gemeinschaft mit der ganzen Schöpfung ausgestoßen leben. In diesem Augenblicke ward ich durch eine unsichtbare Gewalt fortgerissen und durch das glänzende Gebäude der Schöpfung getrieben. Ich ließ bald unzählige Welten hinter mir. Als ich mich dem äußersten Ende der Natur näherte, merkte ich, daß die Schatten des grenzenlosen Leeren sich [Seitenumbruch] in die Tiefe vor mich herabsenkten. Ein fürchterliches Reich von ewiger Stille, Einsamkeit und Finsterniß! Unaussprechliches Grausen überfiel mich bei diesem Anblick. Ich verlor allgemach die letzten Sterne aus dem Gesichte, und endlich erlosch der letzte glimmernde Schein des Lichts in der äußersten Finsterniß. Die Todesängste der Verzweiflung nahmen mit jedem Augenblicke zu, so wie jeder Augenblick meine Entfernung von der letzten bewohnten Welt vermehrte. Ich bedachte mit unleidlicher Herzensangst, daß, wenn zehntausendmal tausend Jahre mich jenseit den Grenzen alles Erschaffenen würden weiter gebracht haben, ich doch noch immerhin in den unermeßlichen Abgrund der Finsterniß vorwärts schauen würde ohne Hülfe oder Hoffnung einiger Rückkehr. - - In dieser Betäubung streckte ich meine Hände mit solcher Heftigkeit nach Gegenständen der Wirklichkeit aus, daß ich darüber erwachte. Und nun bin ich belehrt worden, Menschen hochzuschätzen; denn auch der Geringste von denjenigen, die ich im Stolze meines Glücks von meiner Thüre gewiesen hatte, würde in jener erschrecklichen Einöde von mir allen Schätzen von Golconda weit sein vorgezogen worden. - -      
           
     

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