Kant: AA II, Versuch den Begriff der ... , Seite 190

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 1. Jedermann versteht leicht, warum etwas nicht ist, in so fern nämlich      
  02 der positive Grund dazu mangelt, aber wie dasjenige, was da ist,      
  03 aufhöre zu sein, dieses ist so leicht nicht verstanden. Es existirt z. E. anjetzt      
  04 in meiner Seele die Vorstellung der Sonne durch die Kraft meiner      
  05 Einbildung. Den folgenden Augenblick höre ich auf diesen Gegenstand      
  06 zu gedenken. Diese Vorstellung, welche war, hört in mir auf zu sein, und      
  07 der nächste Zustand ist das Zero vom vorigen. Wollte ich zum Grunde      
  08 hievon angeben, daß darum der Gedanke aufgehört wäre, weil ich im folgenden      
  09 Augenblicke unterlassen hätte ihn zu bewirken, so wäre die Antwort      
  10 von der Frage gar nicht unterschieden; denn es ist eben hievon die      
  11 Rede, wie eine Handlung, die wirklich geschieht, könne unterlassen werden,      
  12 d. i. aufhören könne zu sein.      
           
  13 Ich sage demnach: ein jedes Vergehen ist ein negatives      
  14 Entstehen, d. i. es wird, um etwas Positives, was da ist, aufzuheben,      
  15 eben so wohl ein wahrer Realgrund erfordert, als um es hervorzubringen,      
  16 wenn es nicht ist. Der Grund hievon ist in dem vorigen enthalten. Es sei      
  17 a gesetzt: so ist nur a-a=0 , d. i. nur in so fern ein gleicher, aber entgegengesetzter      
  18 Realgrund mit dem Grunde von a verbunden ist, kann a      
  19 aufgehoben werden. Die körperliche Natur bietet allerwärts Beispiele davon      
  20 dar. Eine Bewegung hört niemals gänzlich oder zum Theil auf, ohne      
  21 daß eine Bewegkraft, welche derjenigen gleich ist, die die verlorene Bewegung      
  22 hätte hervorbringen können, damit in der Entgegensetzung verbunden      
  23 wird. Allein auch die innere Erfahrung über die Aufhebung der      
  24 durch die Thätigkeit der Seele wirklich gewordenen Vorstellungen und      
  25 Begierden stimmt damit sehr wohl zusammen. Man empfindet es in sich      
  26 selbst sehr deutlich: daß, um einen Gedanken voll Gram bei sich vergehen      
  27 zu lassen und aufzuheben, wahrhafte und gemeiniglich große Thätigkeit      
  28 erfordert wird. Es kostet wirkliche Anstrengung eine zum Lachen reizende      
  29 lustige Vorstellung zu vertilgen, wenn man sein Gemüth zur Ernsthaftigkeit      
  30 bringen will. Eine jede Abstraction ist nichts anders, als eine Aufhebung      
  31 gewisser klaren Vorstellungen, welche man gemeiniglich darum anstellt,      
  32 damit dasjenige, was übrig ist, desto klärer vorgestellt werde. Jedermann      
  33 weiß aber, wie viel Thätigkeit hiezu erfordert wird, und so kann      
  34 man die Abstraction eine negative Aufmerksamkeit nennen, das      
  35 ist, ein wahrhaftes Thun und Handlen, welches derjenigen Handlung,      
  36 wodurch die Vorstellung klar wird, entgegengesetzt ist und durch die Verknüpfung      
  37 mit ihr das Zero, oder den Mangel der klaren Vorstellung zuwege      
           
     

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