Kant: AA II, Versuch einiger Betrachtungen ... , Seite 032

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Wir sind so weit gekommen gründlich einzusehen, daß unter allen      
  02 möglichen Welten eine die vollkommenste sei, so daß ihr weder eine an      
  03 Trefflichkeit vorgeht noch eine andere ihr gleich kommt. Ob dieses nun die      
  04 wirkliche Welt sei oder nicht, wollen wir bald erwägen; jetzt wollen wir      
  05 das Abgehandelte in ein größeres Licht zu setzen suchen.      
           
  06 Es giebt Größen, von denen sich keine denken läßt, daß nicht eine      
  07 noch größere könnte gedacht werden. Die größte unter allen Zahlen, die      
  08 geschwindeste unter allen Bewegungen sind von dieser Art. Selbst der      
  09 göttliche Verstand denkt sie nicht, denn sie sind, wie Leibniz anmerkt, betrügliche      
  10 Begriffe ( notiones deceptrices ), von denen es scheint, daß man      
  11 etwas durch sie denkt, die aber in der That nichts vorstellen. Nun sagen      
  12 die Gegner des Optimismus: eine vollkommenste unter allen Welten sei      
  13 so wie die größte unter allen Zahlen ein widersprechender Begriff; denn      
  14 man könne eben so wohl zu einer Summe der Realität in einer Welt      
  15 einige mehrere hinzuthun, wie zu der Summe der Einheiten in einer Zahl      
  16 andere Einheiten können hinzugethan werden, ohne daß jemals was      
  17 Größtes herauskommt.      
           
  18 Ohne hier zu erwähnen, daß man nicht füglich den Grad der Realität      
  19 eines Dinges in Vergleichung der kleinern als eine Zahl in Vergleichung      
  20 mit ihren Einheiten ansehen kann, so führe ich nur folgendes an, um zu      
  21 zeigen, daß die angeführte Instanz nicht wohl passe. Es ist gar keine      
  22 größte Zahl möglich, es ist aber ein größter Grad der Realität möglich,      
  23 und dieser befindet sich in Gott. Sehet da den ersten Grund, warum man      
  24 hier sich fälschlich der Zahlbegriffe bedient. Der Begriff einer größten      
  25 endlichen Zahl ist ein abstracter Begriff der Vielheit schlechthin, welche      
  26 endlich ist, zu welcher aber gleichwohl mehr hinzugedacht werden kann,      
  27 ohne daß sie aufhört endlich zu sein; in welcher also die Endlichkeit der      
  28 Größe keine bestimmte, sondern nur allgemeine Schranken setzt, weswegen      
  29 keiner von solchen Zahlen das Prädicat der größten zukommen kann; denn      
  30 man mag eine bestimmte Menge gedenken, wie man will, so kann diese      
  31 eine jede endliche Zahl ohne Nachtheil der Endlichkeit durch die Hinzuthuung      
  32 vermehren. Der Grad der Realität einer Welt ist hingegen etwas      
  33 durchgängig Bestimmtes; die Schranken, die der möglich größten Vollkommenheit      
  34 einer Welt gesetzt sind, sind nicht bloß allgemein, sondern      
  35 durch einen Grad, der nothwendig in ihr fehlen muß, festgesetzt. Die Unabhängigkeit,      
  36 die Selbstgenugsamkeit, die Gegenwart an allen Orten, die      
  37 Macht zu erschaffen etc. sind Vollkommenheiten, die keine Welt haben      
           
     

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