| Kant: AA II, M. Immanuel Kants Neuer ... , Seite 020 | |||||||
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| 01 | Bewegung gegen den stoßenden von selber annehmen, oder sich in ein | ||||||
| 02 | Übergewicht versetzen sollte, um in ihm eine entgegen gesetzte Kraft aufzuheben, | ||||||
| 03 | wenn nicht aus der Erfahrung erhellte, daß in einem Zustande, | ||||||
| 04 | den ein jeder für den Zustand der Ruhe hält, der Körper in einen jeglichen | ||||||
| 05 | handelnden mit gleichem Grade entgegen wirkte. Nun ich aber bewiesen | ||||||
| 06 | habe, daß, was man fälschlich für eine Ruhe in Ansehung des | ||||||
| 07 | stoßenden Körpers gehalten hat, in der That beziehungsweise auf ihn eine | ||||||
| 08 | Bewegung sei: so leuchtet von selber ein, daß diese Trägheitskraft ohne | ||||||
| 09 | Noth erdacht sei und bei jedem Stoße eine Bewegung eines Körpers gegen | ||||||
| 10 | einen andern, mit gleichem Grade ihm entgegen bewegten angetroffen | ||||||
| 11 | werde, welches die Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung, ohne eine | ||||||
| 12 | besondere Art der Naturkraft erdenken zu dürfen, ganz leicht und begreiflich | ||||||
| 13 | erklärt. Gleichwohl dient diese angenommene Kraft ungemein geschickt | ||||||
| 14 | dazu alle Bewegungsgesetze sehr richtig und leicht daraus herzuleiten. | ||||||
| 15 | Aber hiezu dient sie nur eben so, wie die Newtonische Anziehungskraft | ||||||
| 16 | aller Materie zu Erklärung der großen Bewegungen des Weltbaues, | ||||||
| 17 | nämlich nur als das Gesetz einer durch die Erfahrung erkannten allgemeinen | ||||||
| 18 | Erscheinung, wovon man die Ursache nicht weiß, und welche folglich | ||||||
| 19 | man sich nicht übereilen muß sogleich auf eine dahin zielende innere | ||||||
| 20 | Naturkraft zu schieben. | ||||||
| 21 | Ich kann, ohne etwas von dem Rechte meines Lehrgebäudes zu vergeben, | ||||||
| 22 | in diesem Verstande ganz wohl zugestehen: daß alle Körper in | ||||||
| 23 | Ansehung der gegen sie bewegten eine Trägheitskraft haben, d. i. eine | ||||||
| 24 | Kraft, der Handlung im gleichen Grade entgegen zu wirken, denn dieses | ||||||
| 25 | ist nichts als ein Erfahrungsgesetz; allein sie scheinen nur sie in völliger | ||||||
| 26 | Ruhe als eine innere Kraft an sich zu haben, denn sie haben sie in der | ||||||
| 27 | That bloß darum, weil sie gegen den anlaufenden in wirklicher und gleicher | ||||||
| 28 | Bewegung sind, und sie haben solche nimmer, in so fern sie sich respective | ||||||
| 29 | auf ihn in Ruhe befinden. | ||||||
| 30 | Es kann auch gar nicht schwer fallen die angenommene Begriffe der | ||||||
| 31 | Trägheitskraft aus andern Gründen zu widerlegen. | ||||||
| 32 | Denn 1) es mag ein Körper noch so viel Kräfte haben, wenn er in | ||||||
| 33 | Ruhe ist, so müssen sie doch alsdann gewiß in ihm im Gleichgewichte sein. | ||||||
| 34 | Wie soll es denn zugehen, daß, so bald der stoßende Körper diesen ruhenden | ||||||
| 35 | berührt, der letztere sich plötzlich selber in eine gegen die Seite des anlaufenden | ||||||
| 36 | überwiegende Bewegung oder Bestrebung versetzen soll, um in | ||||||
| 37 | ihm einen Theil seiner Kraft zu vertilgen? Denn würde seine innere Kraft | ||||||
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