Kant: AA I, Geschichte und Naturbeschreibung ... , Seite 454 |
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| 01 | können? Musschenbroeck, nachdem er bemerkt hat, daß nur in diesem | ||||||
| 02 | Jahrhundert und zwar seit 1716 Recht helle Nordlichter in Europa und | ||||||
| 03 | bis in dessen südlichen Ländern gesehen worden, hält für die wahrscheinlichste | ||||||
| 04 | Ursache dieser Veränderung in dem Luftkreise, daß die feuerspeiende | ||||||
| 05 | Berge und die Erdbeben, die einige Jahre vorher häufig gewüthet hatten, | ||||||
| 06 | entzündbare und flüchtige Dünste ausgestoßen, die durch den natürlichen | ||||||
| 07 | Abfluß der obersten Luft nach Norden sich dahin gehäuft und die feurige | ||||||
| 08 | Lufterscheinungen hervorgebracht, die seit dem so häufig sind gesehen worden, | ||||||
| 09 | und daß sie vermuthlich sich nach und nach verzehren müssen, bis neue | ||||||
| 10 | Aushauchungen den Abgang wiederum ersetzen. | ||||||
| 11 | Diesen Grundsätzen nach laßt uns untersuchen, ob es nicht der Natur | ||||||
| 12 | gemäß sei, daß eine veränderte Witterung, wie diejenige, die wir gehabt | ||||||
| 13 | haben, eine Folge von jener Katastrophe sein könne. Die helle Winterwitterung | ||||||
| 14 | und die Kälte, die sie begleitet, ist nicht lediglich eine Folge von | ||||||
| 15 | der größern Entfernung der Sonne von unserm Scheitelpunkte zu dieser | ||||||
| 16 | Jahreszeit; denn wir empfinden es oft, daß dem ungeachtet die Luft sehr | ||||||
| 17 | gemäßigt sein könne; sondern der Zug der Luft aus Norden, der auch zu | ||||||
| 18 | Zeiten in einen Ostwind ausschlägt, bringt uns eine erkältete Luft bis | ||||||
| 19 | aus der Eiszone her, die unsere Gewässer mit Eis belegt und uns einen | ||||||
| 20 | Theil von dem Winter des Nordpols fühlen läßt. Dieser Zug der Luft | ||||||
| 21 | von Norden nach Süden ist in den Herbst= und Wintermonaten so natürlich, | ||||||
| 22 | wenn ihn nicht fremde Ursachen unterbrechen, daß in dem Ocean in | ||||||
| 23 | genugsamer Entfernung von allem festen Lande dieser Nord= oder Nordostwind | ||||||
| 24 | die ganze Zeit hindurch ununterbrochen angetroffen wird. Er | ||||||
| 25 | rührt auch ganz natürlich von der Wirkung der Sonne her, die alsdann | ||||||
| 26 | über der südlichen Halbkugel die Luft verdünnt und dadurch der nordlichen | ||||||
| 27 | ihren Herbeizug verursacht: so daß dieses als ein beständiges Gesetz angesehen | ||||||
| 28 | werden muß, welches durch die Beschaffenheit der Länder wohl einigermaßen | ||||||
| 29 | verändert, aber nicht aufgehoben werden kann. Wenn nun | ||||||
| 30 | unterirdische Gährungen erhitzte Dämpfe irgendwo in den Ländern, die | ||||||
| 31 | uns nach Süden liegen, ausstoßen: so werden diese anfänglich die Höhe | ||||||
| 32 | des Luftkreises in der Gegend, wo sie aufsteigen, dadurch verringern, daß | ||||||
| 33 | sie ihre Ausspannungskraft schwächen und Platzregen, Orkane u. d. g. verursachen. | ||||||
| 34 | Allein in der Folge wird dieser Theil der Atmosphäre, da er | ||||||
| 35 | mit so viel Dünsten beladen ist, die benachbarte durch sein Gewicht bewegen | ||||||
| 36 | und einen Zug der Luft von Süden nach Norden verursachen. Da | ||||||
| 37 | nun aber die Bestrebung des Luftkreises von Norden nach Süden in unserem | ||||||
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