Kant: AA I, Geschichte und Naturbeschreibung ... , Seite 452 |
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| 01 | eine Stadt, deren Hauptstraßen in eben der Richtung fortgehen, als dieser | ||||||
| 02 | abschießig ist, bei einem vorfallenden Erdbeben völlig zu zerstören. Diese | ||||||
| 03 | Anmerkung ist nicht ein Einfall der bloßen Vermuthung; es ist eine Sache | ||||||
| 04 | der Erfahrung. Gentil, der selbst von sehr vielen Erdbeben gute Kenntnisse | ||||||
| 05 | einzuholen Gelegenheit hatte, berichtet dieses als eine Beobachtung, | ||||||
| 06 | die durch viele Exempel bestätigt worden: daß, wenn die Richtung, nach | ||||||
| 07 | der der Boden erschüttert wird, mit der Richtung, nach welcher die Stadt | ||||||
| 08 | erbaüt ist, gleichläuft, sie ganz und gar umgeworfen werde, anstatt daß, | ||||||
| 09 | wenn sie diese rechtwinklicht durchschneidet, weniger Schade geschieht. | ||||||
| 10 | Die Historie der Königl. Akad. zu Paris berichtet: daß, da Smyrna, | ||||||
| 11 | welches an dem östlichen Ufer des Mittelländischen Meeres liegt, im Jahr | ||||||
| 12 | 1688 erschüttert wurde, alle Mauren, die die Richtung von Osten nach | ||||||
| 13 | Westen hatten, eingestürzt wurden, und die, so von Norden nach Süden | ||||||
| 14 | erbaüt waren, stehen blieben. | ||||||
| 15 | Der erschütterte Boden macht nämlich einige Schwankungen und bewegt | ||||||
| 16 | alles, was auf ihm der Länge nach in der Richtung der Schwankung | ||||||
| 17 | aufgeführt ist, am stärksten. Alle Körper, die eine große Beweglichkeit | ||||||
| 18 | haben, z. E. die Kronleuchter in den Kirchen, pflegen bei den Erdbeben | ||||||
| 19 | die Richtung, nach der die Stöße geschehen, anzuzeigen und sind weit | ||||||
| 20 | sicherere Merkmaale für eine Stadt, um die Lage daraus abzunehmen, | ||||||
| 21 | nach welcher sie sich anbaün muß, als die schon angeführte etwas zweifelhaftere | ||||||
| 22 | Kennzeichen. | ||||||
| 23 | Von dem Zusammenhange der Erdbeben mit den Jahreszeiten. |
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| 24 | Der schon mehrmals angeführte französische Akademist, Hr. Bougür, | ||||||
| 25 | führt in seiner Reise nach Peru an, daß, wenn die Erdbeben in diesem | ||||||
| 26 | Lande zu allen Jahreszeiten oft genug geschehen, dennoch die fürchterlichsten | ||||||
| 27 | und häufigsten in den Herbstmonaten gegen das Ende des Jahres gefühlt | ||||||
| 28 | werden. Diese Beobachtung findet nicht allein in Amerika zahlreiche | ||||||
| 29 | Bestätigungen, indem außer dem Untergange der Stadt Lima vor 10 Jahren | ||||||
| 30 | und der Versinkung einer andern eben so volkreichen im vorigen Jahrhundert | ||||||
| 31 | sehr viel Exempel davon bemerkt worden, sondern auch in unserm | ||||||
| 32 | Welttheil finden wir außer dem letztern Erdbeben noch viele Beispiele in | ||||||
| 33 | der Geschichte von Erschütterung und Auswürfen feuerspeiender Berge, | ||||||
| 34 | die sich häufiger in den Herbstmonaten als in irgend einer andern Jahreszeit | ||||||
| 35 | zugetragen haben. Sollte nicht eine gemeinschaftliche Ursache diese | ||||||
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