Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 365 |
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| 01 | Materie haben, an die sie persönlich verbunden sind: so ist kein Wunder, | ||||||
| 02 | daß die Vollkommenheit der Natur von beiderlei Orten in einem einzigen | ||||||
| 03 | Zusammenhange der Ursachen und aus gleichen Gründen bewirkt | ||||||
| 04 | worden. Diese Übereinstimmung ist also bei genauer Erwägung nichts | ||||||
| 05 | Plötzliches oder Unerwartetes, und weil die letzteren Wesen durch ein | ||||||
| 06 | gleiches Principium in die allgemeine Verfassung der materialischen | ||||||
| 07 | Natur eingeflochten worden: so wird die Geisterwelt aus eben den Ursachen | ||||||
| 08 | in den entfernten Sphären vollkommener sein, weswegen es die | ||||||
| 09 | körperliche ist. | ||||||
| 10 | So hängt denn alles in dem ganzen Umfange der Natur in einer | ||||||
| 11 | ununterbrochenen Gradfolge zusammen durch die ewige Harmonie, die | ||||||
| 12 | alle Glieder auf einander beziehend macht. Die Vollkommenheiten | ||||||
| 13 | Gottes haben sich in unsern Stufen deutlich offenbart und sind nicht | ||||||
| 14 | weniger herrlich in den niedrigsten Classen, als in den erhabnern. | ||||||
| 15 | Welch eine Kette, die von Gott den Anfang nimmt, was für Naturen | ||||||
| 16 | Von himmlischen und irdischen, von Engeln, Menschen bis zum Vieh, | ||||||
| 17 | Vom Seraphim bis zum Gewürm! O Weite, die das Auge nie | ||||||
| 18 | Erreichen und betrachten kann, | ||||||
| 19 | Von dem Unendlichen zu dir, von dir zum Nichts! | ||||||
| 20 | Pope. | ||||||
| 21 | Wir haben die bisherige Muthmaßungen treulich an dem Leitfaden | ||||||
| 22 | der physischen Verhältnisse fortgeführt, welcher sie auf dem Pfade | ||||||
| 23 | einer vernünftigen Glaubwürdigkeit erhalten hat. Wollen wir uns | ||||||
| 24 | noch eine Ausschweifung aus diesem Gleise in das Feld der Phantasie | ||||||
| 25 | erlauben? Wer zeigt uns die Grenze, wo die gegründete Wahrscheinlichkeit | ||||||
| 26 | aufhört und die willkürlichen Erdichtungen anheben? Wer ist | ||||||
| 27 | so kühn, eine Beantwortung der Frage zu wagen: ob die Sünde ihre | ||||||
| 28 | Herrschaft auch in den andern Kugeln des Weltbaues ausübe, oder ob | ||||||
| 29 | die Tugend allein ihr Regiment daselbst aufgeschlagen? | ||||||
| 30 | Die Sterne sind vielleicht ein Sitz verklärter Geister, | ||||||
| 31 | Wie hier das Laster herrscht, ist dort die Tugend Meister. | ||||||
| 32 | v. Haller. | ||||||
| 33 | Gehört nicht ein gewisser Mittelstand zwischen der Weisheit und | ||||||
| 34 | Unvernunft zu der unglücklichen Fähigkeit sündigen zu können? Wer | ||||||
| 35 | weiß, sind also die Bewohner jener entfernten Weltkörper nicht zu erhaben | ||||||
| 36 | und zu weise, um sich bis zu der Thorheit, die in der Sünde | ||||||
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