Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 363 |
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| 01 | vergrößern können, wenn das Wachsthum schon vollendet ist: so müssen | ||||||
| 02 | diese sich ansetzende Nahrungssäfte durch eben den mechanischen Trieb, | ||||||
| 03 | der, das Thier zu nähren, angewandt wird, die Höhle seiner Gefäße | ||||||
| 04 | verengen und verstopfen und den Bau der ganzen Maschine in einer | ||||||
| 05 | nach und nach zunehmenden Erstarrung zu Grunde richten. Es ist zu | ||||||
| 06 | glauben, daß, obgleich die Vergänglichkeit auch an den vollkommensten | ||||||
| 07 | Naturen nagt, dennoch der Vorzug in der Feinigkeit des Stoffes, in | ||||||
| 08 | der Elasticität der Gefäße und der Leichtigkeit und Wirksamkeit der | ||||||
| 09 | Säfte, woraus jene vollkommnere Wesen, welche in den entfernten | ||||||
| 10 | Planeten wohnen, gebildet sind, diese Hinfälligkeit, welche eine Folge | ||||||
| 11 | aus der Trägheit einer groben Materie ist, weit länger aufhalten und | ||||||
| 12 | diesen Creaturen eine Dauer, deren Länge ihrer Vollkommenheit proportionirt | ||||||
| 13 | ist, verschaffen werde, so wie die Hinfälligkeit des Lebens der | ||||||
| 14 | Menschen ein richtiges Verhältniß zu ihrer Nichtswürdigkeit hat. | ||||||
| 15 | Ich kann diese Betrachtung nicht verlassen, ohne einem Zweifel | ||||||
| 16 | zuvor zu kommen, welcher natürlicher Weise aus der Vergleichung | ||||||
| 17 | dieser Meinungen mit unseren vorigen Sätzen entspringen könnte. Wir | ||||||
| 18 | haben in den Anstalten des Weltbaues an der Menge der Trabanten, | ||||||
| 19 | welche die Planeten der entferntesten Kreise erleuchten, an der Schnelligkeit | ||||||
| 20 | der Achsendrehungen und dem gegen die Sonnenwirkung proportionirten | ||||||
| 21 | Stoffe ihres Zusammensatzes die Weisheit Gottes erkannt, welche | ||||||
| 22 | alles dem Vortheile der vernünftigen Wesen, die sie bewohnen, so zuträglich | ||||||
| 23 | angeordnet hat. Aber wie wollte man anjetzt mit der Lehrverfassung | ||||||
| 24 | der Absichten einen mechanischen Lehrbegriff zusammen | ||||||
| 25 | reimen, so daß, was die höchste Weisheit selbst entwarf, der rohen | ||||||
| 26 | Materie und das Regiment der Vorsehung der sich selbst überlassenen | ||||||
| 27 | Natur zur Ausführung aufgetragen worden? Ist das erstere nicht vielmehr | ||||||
| 28 | ein Geständniß, daß die Anordnung des Weltbaues nicht durch | ||||||
| 29 | die allgemeinen Gesetze der letzteren entwickelt worden? | ||||||
| 30 | Man wird diese Zweifel bald zerstreuen, wenn man auf dasjenige | ||||||
| 31 | nur zurück denkt, was in gleicher Absicht in dem vorigen angeführt | ||||||
| 32 | worden. Muß nicht die Mechanik aller natürlichen Bewegungen einen | ||||||
| 33 | wesentlichen Hang zu lauter solchen Folgen haben, die mit dem Project | ||||||
| 34 | der höchsten Vernunft in dem ganzen Umfange der Verbindungen | ||||||
| 35 | wohl zusammenstimmt? Wie kann sie abirrende Bestrebungen und | ||||||
| 36 | eine ungebundene Zerstreuung in ihrem Beginnen haben, da alle ihre | ||||||
| 37 | Eigenschaften, aus welchen sich diese Folgen entwickeln, selbst ihre Bestimmung | ||||||
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