Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 354 |
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| 01 | schmeicheln. Die Unendlichkeit der Schöpfung faßt alle Naturen, die | ||||||
| 02 | ihr überschwenglicher Reichthum hervorbringt, mit gleicher Nothwendigkeit | ||||||
| 03 | in sich. Von der erhabensten Classe unter den denkenden Wesen | ||||||
| 04 | bis zu dem verachtetesten Insect ist ihr kein Glied gleichgültig; und | ||||||
| 05 | es kann keins fehlen, ohne daß die Schönheit des Ganzen, welche in | ||||||
| 06 | dem Zusammenhange besteht, dadurch unterbrochen würde. Indessen | ||||||
| 07 | wird alles durch allgemeine Gesetze bestimmt, welche die Natur durch | ||||||
| 08 | die Verbindung ihrer ursprünglich eingepflanzten Kräfte bewirkt. Weil | ||||||
| 09 | sie in ihrem Verfahren lauter Wohlanständigkeit und Ordnung hervorbringt: | ||||||
| 10 | so darf keine einzelne Absicht ihre Folgen stören und unterbrechen. | ||||||
| 11 | Bei ihrer ersten Bildung war die Erzeugung eines Planeten | ||||||
| 12 | nur eine unendlich kleine Folge ihrer Fruchtbarkeit; und nun wäre es | ||||||
| 13 | etwas Ungereimtes, daß ihre so wohlgegründete Gesetze den besondern | ||||||
| 14 | Zwecken dieses Atomus nachgeben sollten. Wenn die Beschaffenheit | ||||||
| 15 | eines Himmelskörpers der Bevölkerung natürliche Hindernisse entgegen | ||||||
| 16 | setzt: so wird er unbewohnt sein, obgleich es an und für sich schöner | ||||||
| 17 | wäre, daß er Einwohner hätte. Die Trefflichkeit der Schöpfung verliert | ||||||
| 18 | dadurch nichts: denn das Unendliche ist unter allen Größen diejenige, | ||||||
| 19 | welche durch Entziehung eines endlichen Theiles nicht vermindert | ||||||
| 20 | wird. Es wäre, als wenn man klagen wollte, daß der Raum zwischen | ||||||
| 21 | dem Jupiter und dem Mars so unnöthig leer steht, und daß es Kometen | ||||||
| 22 | giebt, welche nicht bevölkert sind. In der That, jenes Insect mag uns | ||||||
| 23 | so nichtswürdig scheinen, als es wolle, es ist der Natur gewiß an der | ||||||
| 24 | Erhaltung seiner ganzen Classe mehr gelegen, als an einer kleinen | ||||||
| 25 | Zahl vortrefflicherer Geschöpfe, deren es dennoch unendlich viel giebt, | ||||||
| 26 | wenn ihnen gleich eine Gegend, oder Ort beraubt sein sollte. Weil | ||||||
| 27 | sie in Hervorbringung beider unerschöpflich ist, so sieht man ja gleich | ||||||
| 28 | unbekümmert beide in ihrer Erhaltung und Zerstörung den allgemeinen | ||||||
| 29 | Gesetzen überlassen. Hat wohl jemals der Besitzer jener bewohnten | ||||||
| 30 | Wälder auf dem Kopfe des Bettlers größere Verheerungen unter dem | ||||||
| 31 | Geschlechte dieser Colonie gemacht, als der Sohn Philipps in dem | ||||||
| 32 | Geschlechte seiner Mitbürger anrichtete, als es ihm sein böser Genius | ||||||
| 33 | in den Kopf gesetzt hatte, daß die Welt nur um seinetwillen hervorgebracht | ||||||
| 34 | sei? | ||||||
| 35 | Indessen sind doch die meisten unter den Planeten gewiß bewohnt, | ||||||
| 36 | und die es nicht sind, werden es dereinst werden. Was für Verhältnisse | ||||||
| 37 | werden nun unter den verschiedenen Arten dieser Einwohner durch | ||||||
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