Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 225 |
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| 01 | habe und den Regeln der Wohlanständigkeit ungezwungen genug thue. | ||||||
| 02 | Wenn ein Wohlgesinnter, die gute Sache der Religion zu retten, diese | ||||||
| 03 | Fähigkeit der allgemeinen Naturgesetze bestreiten will, so wird er sich | ||||||
| 04 | selbst in Verlegenheit setzen und dem Unglauben durch eine schlechte Vertheidigung | ||||||
| 05 | Anlaß zu triumphiren geben. | ||||||
| 06 | Allein laßt uns sehen, wie diese Gründe, die man in den Händen | ||||||
| 07 | der Gegner als schädlich befürchtet, vielmehr kräftige Waffen sind, sie zu | ||||||
| 08 | bestreiten. Die nach ihren allgemeinsten Gesetzen sich bestimmende Materie | ||||||
| 09 | bringt durch ihr natürliches Betragen, oder, wenn man es so nennen | ||||||
| 10 | will, durch eine blinde Mechanik anständige Folgen hervor, die der Entwurf | ||||||
| 11 | einer höchsten Weisheit zu sein scheinen. Luft, Wasser, Wärme erzeugen, | ||||||
| 12 | wenn man sie sich selbst überlassen betrachtet, Winde und Wolken, | ||||||
| 13 | Regen, Ströme, welche die Länder befeuchten, und alle die nützliche Folgen, | ||||||
| 14 | ohne welche die Natur traurig, öde und unfruchtbar bleiben müßte. | ||||||
| 15 | Sie bringen aber diese Folgen nicht durch ein bloßes Ungefähr, oder | ||||||
| 16 | durch einen Zufall, der eben so leicht nachtheilig hätte ausfallen können, | ||||||
| 17 | hervor, sondern man sieht: daß sie durch ihre natürliche Gesetze eingeschränkt | ||||||
| 18 | sind auf keine andere als diese Weise zu wirken. Was soll man | ||||||
| 19 | von dieser Übereinstimmung denn gedenken? Wie wäre es wohl möglich, | ||||||
| 20 | daß Dinge von verschiedenen Naturen in Verbindung mit einander | ||||||
| 21 | so vortreffliche Übereinstimmungen und Schönheiten zu bewirken trachten | ||||||
| 22 | sollten, sogar zu Zwecken solcher Dinge, die sich gewissermaßen außer | ||||||
| 23 | dem Umfange der todten Materie befinden, nämlich zum Nutzen der Menschen | ||||||
| 24 | und Thiere, wenn sie nicht einen gemeinschaftlichen Ursprung erkennten, | ||||||
| 25 | nämlich einen unendlichen Verstand, in welchem aller Dinge | ||||||
| 26 | wesentliche Beschaffenheiten beziehend entworfen worden? Wenn ihre Naturen | ||||||
| 27 | für sich und unabhängig nothwendig wären, was für ein erstaunliches | ||||||
| 28 | Ungefähr, oder vielmehr was für eine Unmöglichkeit würde es nicht | ||||||
| 29 | sein, daß sie mit ihren natürlichen Bestrebungen sich gerade so zusammen | ||||||
| 30 | passen sollten, als eine überlegte kluge Wahl sie hätte vereinbaren | ||||||
| 31 | können. | ||||||
| 32 | Nunmehr mache ich getrost die Anwendung auf mein gegenwärtiges | ||||||
| 33 | Unterfangen. Ich nehme die Materie aller Welt in einer allgemeinen | ||||||
| 34 | Zerstreuung an und mache aus derselben ein vollkommenes | ||||||
| 35 | Chaos. Ich sehe nach den ausgemachten Gesetzen der Attraction den | ||||||
| 36 | Stoff sich bilden und durch die Zurückstoßung ihre Bewegung modificiren. | ||||||
| 37 | Ich genieße das Vergnügen ohne Beihülfe willkürlicher Erdichtungen | ||||||
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