Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 224

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Weise am heißesten ist, ist er am heftigsten und läßt wieder mit      
  02 der Erniedrigung der Sonne allmählig nach, so daß gegen Abend eben      
  03 die Stille als beim Aufgange herrscht. Ohne diese erwünschte Einrichtung      
  04 würde diese Insel unbewohnbar sein. Eben diese Wohlthat      
  05 genießen alle Küsten der Länder, die im heißen Erdstriche liegen.      
  06 Ihnen ist es auch am nöthigsten, weil sie, da sie die niedrigsten      
  07 Gegenden des trockenen Landes sind, auch die größte Hitze erleiden;      
  08 denn die höher im Lande befindliche Gegenden, dahin dieser Seewind      
  09 nicht reicht, sind seiner auch weniger benöthigt, weil ihre höhere Lage      
  10 sie in eine kühlere Luftgegend versetzt. Ist dieses nicht alles schön,      
  11 sind es nicht sichtbare Zwecke, die durch klüglich angewandte Mittel      
  12 bewirkt worden? Allein zum Widerspiel muß der Naturalist die natürlichen      
  13 Ursachen davon in den allgemeinsten Eigenschaften der Luft      
  14 antreffen, ohne besondere Veranstaltungen deswegen vermuthen zu      
  15 dürfen. Er bemerkt mit Recht, daß diese Seewinde solche periodische      
  16 Bewegungen anstellen müssen, wenn gleich kein Mensch auf solcher      
  17 Insel lebte, und zwar durch keine andere Eigenschaft, als die der Luft      
  18 auch ohne Absicht auf diesen Zweck bloß zum Wachsthum der Pflanzen      
  19 unentbehrlich vonnöthen ist, nämlich durch ihre Elasticität und Schwere.      
  20 Die Hitze der Sonne hebt das Gleichgewicht der Luft auf, indem sie      
  21 diejenige verdünnt, die über dem Lande ist, und dadurch die kühlere      
  22 Meeresluft veranlaßt, sie aus ihrer Stelle zu heben und ihren Platz      
  23 einzunehmen.      
           
  24 Was für einen Nutzen haben nicht die Winde überhaupt zum      
  25 Vortheile der Erdkugel, und was für einen Gebrauch macht nicht der      
  26 Menschen Scharfsinnigkeit aus denselben! Indessen waren keine andere      
  27 Einrichtungen nöthig, sie hervorzubringen, als dieselbe allgemeine Beschaffenheit      
  28 der Luft und Wärme, welche auch unangesehen dieser      
  29 Zwecke auf der Erde befindlich sein mußten.      
           
  30 Gebt ihr es, sagt allhier der Freigeist, zu, daß, wenn man nützliche      
  31 und auf Zwecke abzielende Verfassungen aus den allgemeinsten      
  32 und einfachsten Naturgesetzen herleiten kann, man keine besondere Regierung      
  33 einer obersten Weisheit nöthig habe: so sehet hier Beweise,      
  34 die euch auf eurem eigenen Geständnisse ertappen werden. Die ganze      
  35 Natur, vornehmlich die unorganisirte, ist voll von solchen Beweisen,      
  36 die zu erkennen geben, daß die sich selbst durch die Mechanik ihrer      
  37 Kräfte bestimmende Materie eine gewisse Richtigkeit in ihren Folgen      
           
     

[ Seite 223 ] [ Seite 225 ] [ Inhaltsverzeichnis ]