Kant: Briefwechsel, Brief 88, An Iohann Georg Hamann. |
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An Iohann Georg Hamann. | |||||||
8. April 1774. | |||||||
Das thema des Verf. ist: zu beweisen, daß Gott den ersten | |||||||
Menschen in Sprache u. Schrift und, vermittelst derselben, in den | |||||||
Anfängen aller Erkentnis oder Wissenschaft selbst unterwiesen habe. | |||||||
Dieses will er nicht aus Vernunftgründen darthun, zum wenigsten | |||||||
besteht darin nicht. das charakteristische Verdienst seines Buches, er | |||||||
will es auch nicht aus dem Zeugnisse der Bibel, denn darin ist nichts | |||||||
davon erwehnt, sondern aus einem uralten Denkmal fast aller gesitteten | |||||||
Völker beweisen, von welchem er behauptet: daß der Ausschlus | |||||||
desselben im 1 Cap: Mose ganz eigentlich und deutlich enthalten und | |||||||
dadurch das Geheimnis so vieler Iahrhunderte entsiegelt sey. Die | |||||||
Mosaische Erzählung würde dadurch einen unverdächtigen und vollig | |||||||
entscheidenden Beweis einer ächten und unschätzbaren Urkunde bekommen, | |||||||
der nicht auf die Hochachtung eines einzigen Volks, sondern | |||||||
auf der Einstimmung der heiligsten Denkmale, welche ein jedes alte | |||||||
Volk von dem Anfange des menschlichen Wissens aufbehalten hat, | |||||||
und die insgesammt dadurch enträtzelt werden, gegründet seyn. Also | |||||||
enthält das Archiv der Völker den Beweis von der Richtigkeit und | |||||||
zugleich dem Sinne dieser Urkunde, nemlich dem allgem einen Sinne | |||||||
derselben. Denn, nachdem sich dieser entdekt hat, so bekomt umgekehrt | |||||||
das monument der Völker die Erklarung seiner besondern Bedeutung | |||||||
von dieser Urkunde, und die endlose Muthmaßungen darüber | |||||||
sind auf einmal zernichtet; denn der Streit verwandelt sich so fort in | |||||||
Eintracht, nachdem gezeigt worden, daß es nur so viel verschiedene | |||||||
apparentzen eines und desselben Urbildes waren. | |||||||
Itzt ist davon gar nicht die Rede, ob der Verfasser recht habe | |||||||
oder nicht, noch ob dieser vermeintlich gefundene Hautptschlüssel alle | |||||||
Kammern des historisch=antiqvarisch critischen Labyrinths öfne, sondern | |||||||
lediglich 1. Was der Sinn dieser Urkunde sey. 2 worinn der Beweis | |||||||
bestehe, der aus den ältesten Archivnachrichten aller Völker genommen | |||||||
worden: daß dieses Document in gedachtem Sinne das unverdächtigste | |||||||
und reineste sey. | |||||||
Und da ist unseres Verfassers Meinung: | |||||||
Was das erste betrift, daß das erste biblische Capitel nicht die | |||||||
Geschichte der Schopfung, sondern, unter diesem Bilde (welches) auch | |||||||
überdem die natürlichste Ausbildung der Welt vorstellen mag,) eine | |||||||
Abtheilung der von Gott dem ersten Menschen gegebenen Unterweisung, | |||||||
gleichsam in 7 Lektionen vorstelle, wodurch er zuerst zum Denken hat | |||||||
geleitet und zur Sprache gebildet werden müssen, so daß hiemit der | |||||||
erste Schriftzug verbunden worden und die 7 tage selbst (vornemlich | |||||||
durch deren Beschließung mit einem Sabbath) ein herrliches Mittel der | |||||||
Erinnerung, zugleich auch der chronol: Astronomie etc gewesen sey | |||||||
Was das zweyte betrift; so ist der eigentliche Beweis daher | |||||||
genommen: daß der Hermes der Aegypter nichts als den Anfang alles | |||||||
menschlichen Wissens bedeute und daß das einfältge symbol desselben, | |||||||
welches eine Vorstellung der siebenten Zahl ist, zusamt allen andern | |||||||
allegorien, welche diese mystische Zahl als den Inbegrif der gantzen | |||||||
Welterkentnis vorstellen, offenbar das Denkzeichen, nicht allein des | |||||||
Ursprungs aller menschlichen Erkentnis, sondern so gar der Methode | |||||||
der ersten Unterweisung seyn müsse; daß dieses zur volligen Gewisheit | |||||||
werde, wenn man in der Mosaischen Erzählung wirklich die obiecte | |||||||
des menschlichen Wissens, nach Methode disponirt, in dieselbe figur gebracht | |||||||
und mit der nämlichen Feyerlichkeit versiegelt antrift. Daraus | |||||||
wird geschlossen: daß, weil dieses wichtige Mosaische Stück dasienige | |||||||
ist, was alle jene uralte Symbole allein verständlich machen kan, es | |||||||
die einzige ächte und höchstehrwürdige Urkunde sey, die uns mit dem | |||||||
Anfange des menschlichen Geschlechts auf das zuverläßigfte bekannt | |||||||
machen kan. Moses allein zeigt uns das Document, die Aegypter | |||||||
hatten, oder zeigeten nur das Emblem. | |||||||
Von denen mir mitgetheilten Hauptzügen der Absicht des Verfassers | |||||||
ist Ihre zweyte Bemerkung, werthester Freund, so viel ich mich | |||||||
besinne, mit der Meinung des Autors nicht einstimmig. Denn allerdings | |||||||
hält er die Schopfungsgeschichte nur vor eine Mosaische Allegorie | |||||||
von der Zergliederung der Schopfung in dem göttlichen Unterrichte, | |||||||
so wie sich die menschliche Erkentnis in Ansehung derselben am | |||||||
natürlichsten entwickeln und ausbreiten läßt. | |||||||
Ich erbitte mir nur bey nochmaliger Durchlesung des Buchs die | |||||||
Bemühung: zu bemerken, ob der von mir darinn gefundene Sinn und | |||||||
Beweisgrund wirklich so in dem Werke enthalten sey, und ob meine | |||||||
Warnehmung noch einiger beträchtlichen Ergänzung oder Verbesserung | |||||||
bedürfe. | |||||||
Einige Bogen von Ihrer Hand zu lesen zu bekommen sind mir | |||||||
Antrieb gnug, um alles Ansehen, was ich bey unserem selbst critisirenden | |||||||
Verleger haben möchte, zu deren Beförderung anzuwenden. Aber | |||||||
er versteht sich selbst so gut auf das, was er den Ton des Buchs, den | |||||||
Geschmak des Publikum und die geheime Absicht des Verfassers nennt; | |||||||
daß wenn es auch nicht an sich selbst eine ziemlich niedrige Bedienung | |||||||
wäre, ich, um mein bischen Credit bey ihm nicht zu verlieren, doch | |||||||
das Amt eines Hauscensors auf keine Weise übernehmen möchte. | |||||||
Ich muß daher ungern auf die Ehre, welche der vielvermögenden | |||||||
gravitaet eines Censors von dem demüthigen Verfasser gebührt, vor | |||||||
diesesmal Verzicht thun. Auch ist Ihnen wohl bekannt: daß, was über | |||||||
das Mittelmäßige hinaus ist, gerade seine Sache sey, wenn er nur | |||||||
nicht vor sein politisch System Gefahr wittert, denn der Cours der | |||||||
Actien komt hiebey vermuthlich nicht in Anschlag. | |||||||
In der neuen academischen Erscheinung ist vor mich nichts Befremdendes. | |||||||
Wenn eine Religion einmal so gestellet ist, daß critische | |||||||
Kentnis alter Sprachen, philologische und antiquarische Gelehrsamkeit | |||||||
die Grundveste ausmacht, auf die sie durch alle Zeitalter und in allen | |||||||
Völkern erbauet seyn muß, so schleppt der, welcher im Griechisch | |||||||
Hebräisch - Syrisch - arabischen etc imgleichen in den Archiven des | |||||||
Alterthums am besten bewandert ist, alle Orthodoxen, sie mögen so | |||||||
sauer sehen wie sie wollen, als Kinder, wohin er will; sie dürfen nicht | |||||||
muchsen; denn sie können in dem, was nach ihrem eignen Geständniße | |||||||
die Beweiskraft bey sich führt, sich mit ihm nicht messen, und sehen | |||||||
schüchtern einen Michaelis ihren vieljährigen Schatz umschmeltzen und | |||||||
mit ganz anderem Gepräge versehen. Wenn theologische Facultaeten | |||||||
mit der Zeit in der Aufmerksamkeit nachlaßen solten, diese Art literatur | |||||||
bey ihren Zöglingen zu erhalten, welches zum wenigsten bey uns der | |||||||
Fall zu seyn scheint, wenn freyglaubende philologen dieser vulcanischen | |||||||
Waffen sich allein bemeistern solten, denn ist das Ansehen jener Demagogen | |||||||
gänzlich zu Ende, und sie werden sich in dem, was sie zu | |||||||
lehren haben, die instruction von den literatoren einholen müssen. In | |||||||
Erwägung dessen fürchte ich sehr vor die lange Dauer des Triumphs | |||||||
ohne Sieg, des Wiederherstellers der Urkunde. Denn es steht gegen | |||||||
ihn ein dichtgeschlossener Phalanx der Meister orientalischer Gelehrsamkeit, | |||||||
die eine solche Beute durch einen ungeweiheten von ihrem | |||||||
eigenen Boden nicht so leicht werden entführen lassen. Ich bin | |||||||
Ihr | |||||||
treuer Diener | |||||||
d 8ten April 1774. | Kant | ||||||
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