Kant: Briefwechsel, Brief 76, Von Iohann Heinrich Kant. |
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Von Iohann Heinrich Kant. | |||||||
3. Iuli 1773. | |||||||
Liebster Bruder! | |||||||
Wird es nicht Zeit seyn, daß wir uns einander wieder nähern? | |||||||
Es sind Iahre verfloßen, seitdem ich nicht an dich geschrieben, wie | |||||||
strafbar bin ich? ich erröthe über meine Nachläßigkeit. - Allein | |||||||
länger kan ich eine solche Trennung unter uns nicht fortdauern | |||||||
lassen; wir sind Brüder, die Natur hat Liebe, und Vertraulichk[eit] uns | |||||||
zur Pflicht gemacht, ich mache ein Anspruch auf dein Hertz, weil das | |||||||
meinige dir gantz ergeben ist. Ietzt bin ich recht begierig auf eine | |||||||
detaillirte Nachricht von deiner gegenwärtigen gantzen Situation, ich | |||||||
möchte gerne von dir so viel wißen, als ein halber Bogen nur faßen | |||||||
kan. Warum soll den dein Bruder von deinen gelehrten Arbeiten | |||||||
nicht eher etwas erfahren, als bis sie ein jeder im Buchladen haben | |||||||
kan. Hintz hat mir von verschiedenen Entwürfen, die du gemacht | |||||||
hast Nachricht gegeben, diesem, und allem was mich gewis interessiren | |||||||
wird weil es dich angeth: sehe ich auf den nächsten PostTag | |||||||
mit Verlangen entgegen. | |||||||
Meine gegenwärtige Lage ist seit den 15 Iahren die ich in Curland | |||||||
verlebt noch immer dieselbe. | |||||||
Nicht die geringste Aussicht zu einer gründlichen Versorgung! Die | |||||||
LandesKinder haben allezeit bey Besetzung erledigter Ämter den Vorzug, | |||||||
und der Auslander, der mit Einheimischen concurriret, wird mehrentheils | |||||||
nachstehen müßen, weil etwanige Verdienste und Geschicklichkeit | |||||||
gegen Familien Unterstützungen nicht aufkommen können. Ietzt bin | |||||||
ich in meiner 4ten Condition bey Hrn. v: Sass in Scheden. Ein | |||||||
vortrefliches Haus, wo ich so glücklich bin, als man es beym Schul | |||||||
Ioche nur seyn kan. Soll denn das aber immer so fortgehen? soll ich | |||||||
denn mein Leben in dieser verächtlichen Carriêre beschließen? O so | |||||||
bedaure ich Preußen verlaßen zu haben! in meinem Vaterlande wäre | |||||||
ich schon längst placirt, warum suchte ich mein Glück in einem | |||||||
fremden Lande? Doch ich mag diese Ausrufungen nicht weiter fortsetzen, | |||||||
man muß geduldig seyn, wen man sein Schicksahl selbst nicht | |||||||
ändern kan. | |||||||
Unser Fürst hat den edlen und landesväterl[ichen] Vorsatz die | |||||||
hiesigen Schulen zu verbeßern, und ein Gymnasium academic. zu | |||||||
stiften; ich habe einen kleinen Schimmer von Hoffnung, alsdann | |||||||
vielleicht eine Stelle, bei der Mietauischen StadtSchule zu bekommen! | |||||||
Man hat mir aber auch versichern wollen, daß du auf der liste | |||||||
der Professoren stündest, die an das Gymnasium vocirt werden | |||||||
sollen. O wie würde ich mich freuen, wen das wahr wäre und du | |||||||
keine Ursachen fändest einen solchen Ruf auszuschlagen. | |||||||
Unsere an einen ZeugMach. Schultz verheurathete Schwester, | |||||||
hat an mich geschrieben und mir Nachricht, von ihren und der übrigen | |||||||
Schwestern Umständen gegeben. Inliegenden Brief an diese Schwester | |||||||
wirst du so geneigt seyn ihr zuzuschicken. Die unglückliche Krönertin | |||||||
wie ich aus dem jetzt gemeldeten Schwesterl. Briefe ersehen habe, | |||||||
wird von dir in ihren kümmerl: Umständen unterstützt, ich bin gleichfals | |||||||
zu einer Beysteuer aufgefordert worden, und bin auch bereit, | |||||||
jahrlich etwas zu ihrem Soulagement beyzutragen. Der erste Beytrag | |||||||
den ich nachstens übermachen werde, wird meinem Vermögen angemeßen | |||||||
seyn. Meine werthen Anverwandten Hrn. Oheim und Frau | |||||||
Muhme Richter bitte meine ehrerbieth. Empfehl. zu versichren. | |||||||
Mit Ungeduld werde ich jeden PostTag eine Antwort von dir | |||||||
erwarten. Ach daß dich nur in Gedancken umarmen kan. Dein eintziger | |||||||
dein dich zärtlichst liebender | |||||||
Scheden | Bruder | ||||||
d 3ten Julii | J. H. Kant. | ||||||
1773 | |||||||
Meine Adresse ist à Scheden | |||||||
per Frauenburg. | |||||||
[ abgedruckt in : AA X, Seite 140 ] [ Brief 75 ] [ Brief 76a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |