Kant: Briefwechsel, Brief 335, Von Friedrich Gottlob Born.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Friedrich Gottlob Born.      
           
  6. Oct. 1788.      
           
  Magnifice und Wohlgebohrner Herr,      
  Hochgeehrtester Herr Professor!      
  Hierbey übersende ich Ihnen ein Exemplar von meinem Versuch      
  über die ersten Gründe der Sinnenlehre. Ich hatte anfänglich blos      
  Willens den Hofrath Weishaupt zu widerlegen. Ich änderte aber      
  meinen Entschluß bald und nahm mir dafür vor die ganze Kritik      
  der reinen Vernunft in 5 bis 6 Bändchen zu bearbeiten, um sie populairer      
  darzustellen, und so den von allen Seiten her erschallenden      
  allgemeinen Klagen über Dunkelheit und Unbegreiflichkeit dieses Systems,      
  sowie den bisher zum Vorschein gebrachten Verdrehungen und Mißdeutungen      
  durch eingeschaltete Prüfungen und Widerlegungen der dagegen      
  erregten, meistens sehr läppischen Zweifel zu begegnen. Die      
  ist nun der erste Versuch, worinnen ich zugleich, außer Weishaupten,      
  den Herren Feder, Abel, Selle, Tittel, Plattner und andern      
  ihre gebührende Abfertigung gegeben habe. Ich denke, wenn ich noch      
  ein oder zween solche Bändchen ausfliegen laße, so werden sich die      
  Herren schämen lernen, so ins Gelag hinein zu schwatzen. Weishaupt      
  hat diese Meße wieder eine Schrift über die ersten Gründe der      
  menschlichen Erkenntniß herausgegeben, die ich noch nicht gelesen      
  habe; auch ist von ihm noch eine andere über die Anschauungen      
  unter der Preße. Der Verfaßer des Versuchs über Gott, die Welt      
  und die menschliche Seele, den ich in meiner Schrift hin und wieder      
  angeführt habe, ist der an dem Gymnasium zu Zürich stehende Profeßor      
           
  des Naturrechts, Herr Korrodi. In Erlangen hat verwiechenen      
  Sommer ein iunger Gelehrter M. Abicht, eine disput. de philosophiae      
  Kantianae habitu ad Theologiam und diese Meße eine Untersuchung      
  über das Willensgeschäfte heraus gegeben, woraus ich viele Erwartungen      
  von ihm schöpfe. Hier ist ein junger mit trefflichen Talenten      
  versehener Mann, der Herz genug hat Ihr System vorzutragen,      
  M. Heidenreich, von deßen Darstellung des Systems von Spinoza      
  izt der erste Band die Preße verlaßen hat. - Die Stelle S. XI bis      
  XIV in meiner Vorrede gilt ganz und gar Plattnern, der täglich in      
  seinen Collegien die kritische Philosophie widerlegt, und seine Ungewisheit      
  bezeugt, aber den scharfsinnigen Urheber derselben einen dogmatisirenden      
  Skeptiker, oder einen skeptisirenden Dogmatiker nennen solle.      
           
  Meiner Lateinischen Uebersetzung der Vernunftkritik finde ich für      
  rathsam hier und da erläuternden Anmerkungen unter dem Text beyzufügen,      
  und dann noch am Ende eine kurze clavem in Form eines      
  erklärenden Registers beyzufügen, um den Ausländern den Verstand      
  und die Prüfung zu erleichtern, und so ungereimten Verdrehungen      
  und Mißverständnißen vorzubeugen. Es wird aber die Uebersetzung      
  alsdann freylich fast 3 Alphabeth stark werden. Ich möchte daher      
  gern wißen, ob Ew. Wohlgeb. diesen Einfall genehmigen. Herr Hartknoch      
  dringt auf die Vollendung des Werks und ich habe versprochen      
  zu sorgen, daß es bald nach künftige Iohannis ganz aus der Preße      
  seyn kan. Der ich indeß die Ehre habe zu seyn,      
           
    Ew. Wohlgeb.      
  Leipzig ganz gehorsamer      
  am 6 October Friedrich Gottlob Born      
  1788.        
           
           
           
     

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