Kant: Briefwechsel, Brief 330, 514 330. Von Christian Gottfried Schütz. |
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514 330. | |||||||
Von Christian Gottfried Schütz. | |||||||
Jena d. 23. Jun. 1788. | |||||||
Eine im vorigen Sommer mir zugestoßne Krankheit, die dadurch | |||||||
angehäuften Geschäfte bey verminderten Kräften, endlich eine Gesundheitsreise | |||||||
von 4 Wochen im Monat May d. I. haben mich nun fast | |||||||
Iahr und Tag des unaussprechlichen Vergnügens beraubt Ihnen Verehrungswerthester | |||||||
Mann, die Empfindungen meiner mit jedem Ihrer | |||||||
Werke steigenden Bewunderung Ihres Geistes und Herzens einmal | |||||||
wieder darzulegen. Ich thue es izt in der kurzen Erklärung, daß mich | |||||||
die Lectüre Ihrer Critik der praktischen Vernunft wahrhaftig beseligt | |||||||
hat, und daß die Freude darüber noch durch den Gedanken erhöhet | |||||||
wird, daß eine große Anzahl trefflicher Männer, mit denen ich mich | |||||||
keinesweges messe, hierinn mit mir völlig gleich empfinden. | |||||||
Die eigentliche Veranlassung zu meinem gegenwärtigen Schreiben, | |||||||
ist die copeylich hier beyliegende Recension Ihres neusten erhabnen | |||||||
Werkes, welche für die A. L. Z. bestimmt ist, und Hn. Rehberg in | |||||||
Hannover zum Verfasser hat. Ehe ich solche abdrucken lasse wünschte | |||||||
ich entweder gleich bey der Zurücksendung Ihre Bemerkungen darüber | |||||||
zu lesen, oder doch wenigstens so bald als möglich von Ihnen benachrichtigt | |||||||
zu werden, obs Ihnen nicht gefällig seyn möchte | |||||||
für die Alg. Lit. Zeitung einen Aufsatz zu senden, worinn die | |||||||
vornehmsten Misverständnisse, die von scharfsinnigen Recensenten | |||||||
begangen werden, aufgeklärt würden; (denn was obtusa | |||||||
capita vorbringen bedarf von Ihnen keiner Widerlegung) | |||||||
Sie können izt kein Journal antreffen, darein Sie einer solchen Erläuterung | |||||||
mehr Publicität geben könnten, als die A. L. Z. da diese | |||||||
izt nach der wahrscheinlichsten Berechnung an 40,000 Leser hat. Über | |||||||
2000 Expl. werden wirklich dato debitirt; und an einem Exemplar | |||||||
lesen oft nicht etwa 10 oder 20, sondern 30, 40, 50 Personen. | |||||||
Sie sehn daß Hr Rehberg unter andern auch wegen der Categorie | |||||||
der Freyheit, in Absicht der Modalität etwas erinnert. | |||||||
Ich habe dagegen einen andern Zweifel, den ich Ihnen hier | |||||||
vorlege, und um dessen Auflösung bitte. | |||||||
Meines Erachtens sollte dieses Stück Ihrer Tafel also lauten: | |||||||
1. das was geboten werden kann, -das was nicht geboten | |||||||
werden kann | |||||||
z. B. sinnliche Liebe | |||||||
2. das was wirklich geboten ist, - das was nicht wirklich | |||||||
geboten ist | |||||||
3. das was nothwendig geboten ist, - das was nur zufällig | |||||||
geboten ist | |||||||
e. c. (jedem das Seine) e. c. (Allmosen geben) | |||||||
Oder terminologisch | |||||||
Möglichkeit des Gesetzes Unmöglichkeit eines Gesetzes | |||||||
(Erlaubte Handlg.) (Nicht zu gebietende | |||||||
Handlung) | |||||||
Daseyn eines Gesetzes Nichtdaseyn eines Gesetzes | |||||||
(Pflicht) (Nichtpflicht) | |||||||
Nothwendigkeit eines Gesetzes Zufälligkeit eines Gesetzes | |||||||
(unnachlaßliche Pflichten) (verdienstl. Pflichten) | |||||||
Unter der Categorie Möglichkeit eines Gesetzes stehn sowohl | |||||||
die Handlungen welche wirklich durch ein Gesetz bestimt, als die | |||||||
welche unbestimt dadurch sind. Folglich die Erlaubten Handlungen. | |||||||
Ich muß es eben sowohl eine erlaubte Handlung nennen, daß ich | |||||||
mein Leben erhalte wozu mich ein Gesetz verbindet, als daß ich | |||||||
Wein trinke, wozu mich keins verbindet, aber doch in gewissem | |||||||
Verstande, z. B. wenn der Wein Arzney wäre, eins verbinden | |||||||
könnte. | |||||||
Alles was mir unmöglich jemals geboten werden kann ist entweder | |||||||
a) durch ein Gesetz gar nicht bestimmt, oder b) schon durch | |||||||
ein nothwendiges Gegengesetz bestimmt. Folglich gehören hieher | |||||||
a) die physikalisch nothwendigen Handlungen, u. die physikalisch unmöglichen | |||||||
überhaupt alle die, welche nicht im Bezirk der Freyheit | |||||||
liegen, b) die deren Gegentheil nothwendig geboten ist, oder die nothwendig | |||||||
verbotnen. Es kann nie geboten werden sich selbst umzubringen. | |||||||
Der Pflicht steht nicht blos die Pflichtwidrigkeit entgegen, | |||||||
sondern wie in der Critik der reinen Vernunft, Daseyn und Nichtseyn | |||||||
entgegengesetzt wird, so muß auch hier nur | |||||||
Pflicht und NichtPflicht | |||||||
einander entgegengesetzt werden. Nicht Pflicht sind 1) alle Handlungen | |||||||
die unmöglich sind 2) alle Handlungen die durch kein Gesetz | |||||||
bestimt, oder weder geboten noch verboten sind. 3) alle pflichtwidrige | |||||||
Handlungen. | |||||||
Daß in der Vorrede zur Critik der reinen praktischen Vernunft | |||||||
zu den erlaubten Handlungen als ein Beyspiel angeführt wird, was | |||||||
einem Redner qua tali erlaubt sey etc. scheint mir eine metabasis eis | |||||||
allo genos zu seyn, nemlich in die Regeln der Geschicklichkeit, die | |||||||
Sie selbst so scharfsinnig von den Geboten der Sittlichkeit unterschieden | |||||||
haben. | |||||||
Noch lege ich die beiden Recensionen von Rehbergs Abhandlung über | |||||||
das Verhältniß der Metaph. zur Relig. bey, und bitte mir über das | |||||||
was in beiden gegen R. erinnert wird, Ihre Meinung aus um zu | |||||||
sehen, ob Sie damit zufrieden sind. | |||||||
Mein Freund und Gehülfe D. Hufeland empfielt sich Ihnen | |||||||
bestens. Es ist mir unangenehm, daß Ihr lieber würdiger College | |||||||
der Hr Prof. Kraus sich so selten mit seinen Beyträgen zur A. L. Z. | |||||||
wagt. | |||||||
Mit der größten Sehnsucht erwarte ich Ihre Antwort, wünsche | |||||||
Ihnen die längste Fortdauer Ihrer Gesundheit, und bin ewig mit der | |||||||
größten Ehrerbietung | Ihr gehorsamster Diener | ||||||
Schütz. | |||||||
[ abgedruckt in : AA X, Seite 540 ] [ Brief 329 ] [ Brief 331 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |