Kant: Briefwechsel, Brief 318, Von Carl Leonhard Reinhold.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Carl Leonhard Reinhold.      
           
  19. Ian. 1788.      
           
  So ist denn nun auch der Wunsch, der mir seit der gestifteten      
  Eintracht zwischen meinem Kopf und Herzen, der angelegenste war,      
  der Wunsch von dem erhabenen Stifter dieser Eintracht, dem Manne,      
  der mir unter allen Männern gegenwärtiger und vergangener Zeit der      
  Merkwürdigste ist, der mir mit jedem Fortschritte meines durch      
  ihn entfesselten Geistes merkwürdiger wird, und werden muß, an dem      
  meine Seele mit einer Liebe hängt, die so rein und so unauslöschlich ist,      
  als das Licht der Erkenntniß, das er in ihr aufgesteckt hat, mit einem      
  Worte von Ihnen gekannt, und geliebt zu werden - erfüllt; und      
  ich werde Ihnen also nicht nur die Ruhe und die seeligste Beschäftigung,      
  sondern auch die süsseste Freude meines Lebens, die ich im Genusse      
  der Achtung und Gewogenheit edler Menschen zu finden gewohnt bin,      
  in Zukunft zu verdanken haben.      
           
  Mein vortreflicher Schwiegervater, dem ich Ihren so überaus      
  gütigen Brief sogleich mit dem Manuskripte zugeschickt habe, freute      
  sich meiner Freude, so wie der schmeuchelhaften Erwähnung seiner      
  Person; er bath mich Ihnen zu schreiben,: Er wäre stolz auf den Gedanken      
  durch seine Schriften zu den Stunden Ihrer Erholung beygetragen      
  zu haben. Ihre Abhandlung war ihm als eine vorzügliche      
  Zierde seines Merkurs höchst willkommen. Eben darum bedauert er,      
  daß bereits die ersten Bogen des Ienners (: mit einem historischen      
  Aufsatze von Schillern :) abgedruckt waren, als daß Mpt ankam,      
  und der gegenwärtige neue Iahrgang mit einem andern Namen als      
  dem Ihrigen eröfnet werden mußte. Da der Schillersche Aufsatz schon      
  viel Platz weggenommen hat, so mußte Ihre Abhandlung zum Theil      
           
  auf das künftige Monatstück, das damit beginnen wird, verlegt werden.      
  Die Theilung hat Wieland vorgenommen; allein auf mein Ersuchen      
  hat er mir die letzte Korrektur nach Iena geschickt, die ich, wenn anders      
  der Setzer seine Schuldigkeit thut, mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit      
  besorgt habe. So unzufrieden ich übrigens über jene Theilung war;      
  so sehr muß ich meinem Schwiegervater Recht geben, wenn er glaubt,      
  daß dadurch die Wirkung auf die Leser eher gewinnen als verlieren      
  werde.      
           
  Was soll ich Ihnen über diese Abhandlung, was über die Stellen      
  in derselben die meine kleinen Bemühungen betreffen, was über das      
  unschätzbare Geschenk, der Kritik der praktischen Vernunft, wovon ich      
  heut das mir angewiesene Exemplar erhalten, die ich aber bereits vor      
  acht Tag verschlungen habe, sagen? Mein gegenwärtiges Verstummen,      
  und mein ganzes künftiges Leben mag Ihnen danken. Wenn mir der      
  Himmel einen Sohn schenkt - er hat mir bereits ein holdseeliges      
  Mädchen gegeben, das itzt anderthalb Iahr alt ist - so sollen Ihr      
  Brief und jenes Exemplar die unveräusserlichen Kleinodien seyn      
  die ich ihm hinterlassen werde, und sie werden ihm als zuverlassige      
  Dokumente von dem Werte seines Vaters heilig seyn.      
           
  Wie lieb ist mirs nun daß ich mich in meinen Briefen über      
  die kantische Philosophie bis itzt noch nicht auf die eigentliche      
  Erörterung des moralischen Erkenntnißgrundes der Grundwahrheiten      
  der Religion eingelassen habe. Ich hätte da ein      
  schwaches Lämpchen aufgesteckt, wo Sie durch die Kr. d. pr. V. eine      
  Sonne hervorgerufen haben. Ich muß gestehen, daß mir ein solcher      
  Grad von Evidenz, eine so ganz vollendete Befriedigung, als ich wirklich      
  gefunden habe, unerwartet war.      
           
  Und nun sehe ich mit verdoppelter Sehnsucht der Kritik des Geschmackes      
  entgegen. Ich habe bereits Ihre Theorie der Sinnlichkeit      
  und des Verstandes zur Ausfertigung einer wirklich neuen Theorie      
  des Vergnügens benutzt, die ich meinen Vorlesungen über die sogenannte      
  Aesthetik vorausgeschickt, und in Aphorismen diktirt habe. Daß ich      
  darin Ihre Meynung wenigstens zum Theil getroffen haben müsse,      
  schliesse ich daraus, weil mein Versuch die verschiedenen Meynungen      
  über die Natur des Vergnügens z. B. die von Dü Bos der das      
  Verg. aus der leichten und starken Beschäftigung der Grundkraft, die      
  von Wolf der es aus der undeutlichen Vorstellung der Vollkommenheit,      
           
  - die von Mendelsohn, der es aus der Vorstellung der Vollkommenheit      
  an sich selbst mit Protestation gegen die wesentliche Undeutlichkeit,      
  die von Sulzer der es aus der Denkkraft oder Spontaneität der      
  Seele - die von Helvetius und den Epikuräern die es aus der      
  sensibilité physique erklären - auf das Natürlichste vereinigt; - zeigt,      
  daß jeder dieser Philosophen das Vergnügen aus einem wahren Gesichtspunkte,      
  aber nur aus einem einzigen betrachtet habe, und da      
  jeder dieser Gesichtspunkte, nach Abzug des heterogenen das er durch      
  Einseitigkeit erhält, als richtig befunden werde seit dem die Kritik der      
  Vernunft den höchsten Gesichtspunkt, von welchem aus allen      
  unteren sich übersehen lassen, angegeben habe. Einen ähnlichen Versuch      
  die Ehre des menschlichen Geistes an den Griechischen Schulen      
  Häuptern in Rücksicht auf die rationale Psychologie zu retten werden      
  sie, in meinem siebenten und achten Briefe gefunden haben. - Ich      
  werde in der Folge noch öfters mit dem Schlüssel der Kr. d. V. dergleichen      
  Räthseln in der Geschichte des menschlichen Geistes aufschliessen      
  Auch schon der unbeschreiblich herrliche Geistesgenuß, den ich dabey      
  finde, müßte mich dazu auffordern, wenn ich auch nicht so augenscheinlich      
  gewahr würde, daß dieses der sicherste Weg zu meiner Absicht ist.      
           
  Meine öffentlichen Vorlesungen über die Einleitung in die Kritik      
  d. V. oder wie ich es hier aus guten Gründen lieber genannt habe      
  die Kantische Theorie des Erkenntnißvermögens, haben bisher einen      
  meine Erwartung übertreffenden Erfolg gehabt. Ich diktire die      
  Theorien der Sinnlichkeit, des Verstandes, und der Vernunft in      
  Aphorismen; in welchen ich von einer getreuen Schilderung des Zustandes      
  in welchem die Kr. d. V. unsre spekulative Ph[ilosoph]ie natürliche      
  Theologie und Moral gefunden hat, ausgieng, die Nothwendigkeit einer      
  Beylegung des Misverständniß das die Philosophische Welt in vier      
  Partheyn 1 Supernaturalisten 2 (: Naturalisten :) Skeptiker,      
  3 (: Dogmatiker :) Pantheisten oder Atheisten. 4 Theisten trennt;      
  so wie den Grund und Ursprung des Misverständnisses, die unbestimmten      
  und falschen Vorstellungsarten vom Erkenntnißvermögen, z. B.      
  von der Sinnlichkeit die man bald mit dem Verstand identificirte,      
  bald auf den Körper übertrug u.s.w. zeigte. - Doch ich hoffe diesen      
  ganzen Versuch, der unter andern zum Zwecke hat der Kritik der r. V.      
  vorbereitete Leser zu verschaffen, ihrer Prüfung vorlegen zu dürfen.      
           
  Prof. Iakob in Halle hat sich neulich angebothen in Gesellschaft      
           
  mit mir ein Iournal das ganz der Kantischen Philosophie allein      
  gewidmet seyn sollte herauszugeben. Ich gieng mit meinen hiesigen      
  Freunden Schütz, Hufeland, und M. Schmidt darüber zu Rath,      
  und mit Bestimmung derselben schlug ich H. Iakob vor erstens die      
  Herausgabe im Namen einer Gesellschaft Akademischer Lehrer      
  und Freunde der Philosophie, wozu die genannten Männer als bereits      
  vorhandene Glieder anzusehen die übrigen aber einzuladen wären, anzukündigen,      
  und uns mit dem Namen der Redakteure zu begnügen;      
  Zweytens dem Iournale den Namen des Philosophischen Zuschauers      
  zu geben; - Doch ich misbrauche Ihre unschätzbare Zeit,      
  und behalte mir den näheren Bericht auf die Zeit vor da unser Projekt      
  gereift seyn wir[d]. - Damit die Gesellschaft nicht einer Alliance      
  ähnlich sehe, die hier sehr an unrechten Orte seyn würde, sollen auch      
  Gegner eingeladen, und ihre Aufsatze, wenn sie anders mehr als seichtes      
  Gewäsche sind, aufgenommen werden.      
           
  Eine Alliance zwischen Göttingen und Wirzburg wird mir      
  immer auffallender, - und ich hoffe Ihnen in kurzen hierüber Nachrichten      
  ertheilen zu können, die mir über den Eifer den die Bundesgenossen      
  bey ihren Angriffen zeigen, manchen Aufschluß zu versprechen      
  scheinen.      
           
  Seitdem ich hier bin hat Prof. U. seine Überzeugungen in Rücksicht      
  der Kr. d. V. sehr geändert, er hat von meinem Vorhaben die      
  Einleitung zu lesen, erst da der Lektionskatalogus bereits gedruckt war,      
  Nachricht erhalten. Um also gleichwohl mir zuvorkommen kündigte      
  er an der Thüre seines Auditoriums noch vor Anfang des Winterkursus      
  sein Polemisches Kollegium gegen die Kritik d. V. für den      
  Sommerkurs an, wo dasselbe viermal in der Woche gratis eröfnet      
  wird. Um Ihnen von dem Tone in welchem der Mann von seinem      
  Vorhaben spricht, eine kleine Probe zu geben, setze ich hier den Schluß      
  von einer seiner letzten Vorlesungen (: er liesst täglich sechs Stunden:) her:      
           
  "Kant ich werde dein Stachel, Kantianer ich werde eure Pestilenz      
  seyn. Was Herkules verspricht wird er auch halten."      
           
  Es wird Ihnen so schwer werden, als es mir selbst war diesen platten      
  Unsinn zu glauben. Allein der Zeugen, die es gehört haben, sind zu viele,      
  und Pr. Schütz ist willens dieß Phänomen unter die litterarischen Neuigkeiten      
  in der A. L. Z. ohne den Namen der Universität einrücken zu lassen.      
  Wie sehr ihre Lehre von der Freyheit von diesem Marktschreyer gemishandelt      
           
  worden, werden sie in seiner so genannten Eleutherologie      
  gefunden haben. Es hat Zeiten gegeben wo der Mann einen      
  Brief von Ihnen auf den Katheder vorgezeugt hat - und nun klagt      
  er öfter auf ebendemselben Katheder, daß sie seine Einwürfe unbeantwortet      
  gelassen hätten. - Vergeben Sie, daß ich Sie mit solchen      
  Armseeligkeiten unterhalte. Es soll auch nie wieder die Rede davon seyn.      
           
  Und nun dürfte es wohl die höchste Zeit für mich seyn mit der      
  Versicherung zu schliessen daß ich mit einer Verehrung der nichts als      
  meine innigste Ergebenheit gleichkömmt ewig seyn werde      
           
  Iena den 19 Ienner 788 ganz der Ihrige      
    Reinhold mpr.      
           
           
           
     

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