Kant: Briefwechsel, Brief 244, Von Christian Gottfried Schütz. |
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Von Christian Gottfried Schütz. | |||||||
20. Sept. 1785. | |||||||
Verehrungswürdigster Lehrer! | |||||||
Ich würde vergebens Ausdrücke suchen, wenn ich Ihnen die Freude | |||||||
schildern sollte, mit der ich Ihre Grundlegung z. M. d. S. in die | |||||||
Hände nahm, und das Interesse mit der ich sie gelesen, und die Befriedigung | |||||||
mit der ich sie aus der Hand gelegt habe. Bis itzt haben | |||||||
meine Zerstreuungen mich gehindert, Ihnen meinen herzlichen Dank | |||||||
dafür abzustatten; Sie werden aber ungeachtet dieses von mir unverschuldeten | |||||||
Aufschubs gewiß glauben, daß ich die Sprache des Herzens | |||||||
rede, wenn ich bekenne, daß ich je weiter Sie auf Ihrer Laufbahn vorrücken, | |||||||
desto mehr mich Ihnen verbunden fühle, und Sie als einen | |||||||
meiner ersten Wohlthäter betrachte. | |||||||
Zur Ausbreitung Ihrer vortrefflichen Grundsätze geschieht zwar | |||||||
lange noch nicht genug, aber doch immer hie und da so viel, daß man | |||||||
hoffen kann, sie werden immer häufiger studiret, und in Umlauf gebracht | |||||||
werden. Alhier ist bisher dazu ein ziemlicher Anfang gemacht | |||||||
worden; welches Iena denk ich deswegen schon nicht unrühmlich ist, | |||||||
weil ehemals man sich hier nicht viel um Philosophie bekümmerte, die | |||||||
nicht auf hiesigem Boden gewachsen war. Hr Hofr. Ulrich hat wie | |||||||
Sie wissen schon auf die Critik der r. V. Rücksicht genommen. Noch | |||||||
weiß ich zwar nicht wie, da ich sein Buch noch nicht habe lesen können. | |||||||
Viele hiesige Studenten haben ihr Werk selbst gekauft. Ein junger | |||||||
M. Schmid will einen Auszug daraus drucken lassen, um künftiges | |||||||
Winterhalbjahr darüber zu lesen. In einer Abhandlung über die | |||||||
Quellen des Naturrechts, die von einem Hn. D. Hufeland einem guten | |||||||
Kopfe herauskömmt, werden Ihre Principien oft mit gebührendem | |||||||
Ruhme angeführt. Es ist mir auch der Gedanke eingefallen, ob es | |||||||
zum Behuf gelehrter Ausländer nicht einmal gut seyn sollte Ihre Werke | |||||||
ins Lateinische zu übersetzen. Um zu sehn, ob es thunlich wäre habe | |||||||
ich neulich einen Versuch gemacht einige Ihrer Sätze gegen Hn. Tiedemann | |||||||
in einem lat. Programm zu vertheidigen, welches ich Ihnen | |||||||
beylege. Auch habe ich in einer Namens der Facultät aufgesetzten | |||||||
Anweisung, die zu dieser Facultät gehörigen Studien betreffend, bey | |||||||
der Philosophie Ihren Entwurf zum Grunde gelegt, und Sie dabey | |||||||
namentlich angeführt, so daß alle junge Studenten gleich davon Notiz | |||||||
bekommen. Ich werde auch in der Allg. Lit. Zeitung künftig keine | |||||||
Gelegenheit versäumen immer auf Ihre Ideen zurückzukommen. So | |||||||
denke ich non vi sed saepe cadendo will ich, ob ich gleich nur ein | |||||||
Tropfen bin, doch manche lapides von Philosophen erweichen. | |||||||
Daß Sie meine Darstellung Ihrer Ideen richtig gefunden, freut | |||||||
mich unendlich; allein in der Tafel der Elemente der Begriffe ist nichts | |||||||
was Ihnen nicht zugehörte, und muß ich also Ihre Aeußerung deshalb, | |||||||
lediglich auf Rechnung Ihrer zu großen Gütigkeit setzen. | |||||||
Ich will gern auf Ihre Beyträge zur A. L. Z. Verzicht thun, | |||||||
wenn nur desto eher das Übrige Ihres Systems erscheint. Doch bitte | |||||||
ich gehorsamst | |||||||
Den 2ten Theil von Herder der bereits heraus ist noch zu recensiren, | |||||||
und | |||||||
zwar wo möglich spätstens in 6 Wochen mir die Rec. zu senden | |||||||
Wollten Sie nicht Hn. HofPrediger Schultz sondiren ob er zur | |||||||
Gesellschaft der Mitarbeiter treten wolle. Die Unternehmer bieten ihm | |||||||
ebenfals 3 Louisd'or für den gedruckten Bogen an. | |||||||
Das Honorar lasse ich Ihnen nächstens durch Hn. Hartung auszahlen. | |||||||
Wäre Königsberg nicht so weit, so würde ich es Ihnen am | |||||||
verfloßnen Johannis Termin baar übersendet haben. | |||||||
Übrigens ist fatal, daß Sie zwischen zwey Schwärmer in die Mitte | |||||||
kommen. Der eine ist Hr. Obereit, der gegen Sie schreibt, der andre | |||||||
Hr. Heinike in Leipzig, der zwar ein großer Verehrer Ihrer Critik | |||||||
ist, sie aber auf seinen Buchstabirkram, nisi me omnia fallunt , | |||||||
ganz link und verkehrt anwendet. Eine Recension hat mir diesen guten | |||||||
Mann auf den Hals gezogen, den ich nun schlechterdings nicht bedeuten | |||||||
kann, weil er keine Raison annimmt Wer weiß, ob ich am Ende nicht | |||||||
Sie selbst zum SchiedsRichter annehmen muß. | |||||||
In Ihrer Grundlegung habe ich unter mehrern Stellen, die mich | |||||||
ganz hingerissen haben, besonders die Bemerkung über den Ursprung | |||||||
einer gewissen Art von Misologie deshalb sehr interessant für mich gefunden, | |||||||
weil ich oft selbst Anwandlungen davon gehabt habe. | |||||||
Ich bin auf vieles äuserst begierig, was für Aufschlüsse Sie noch | |||||||
geben werden; aber unter andern auch auf die Beantwortung folgender | |||||||
Frage: | |||||||
Da gewisse Pflichten von der Art sind, daß bey der Ausübung | |||||||
ein gewisses Maas unumgänglich erfodert wird, welches | |||||||
unmöglich a priori bestimmt werden kann, woraus soll alsdenn | |||||||
dis Maas sonst bestimmt werden? z. B. Allmosen zu geben ist | |||||||
Pflicht. Aber wie viel? Soll hier sich jemand blos gutherzigen | |||||||
Trieben überlassen? Oder soll er eine gewisse ratam seines Vermögens | |||||||
festsetzen? Was für ein Grund wäre aber dazu da? | |||||||
Sagt einer ich will den Zehnten geben, so kann ein andrer sagen | |||||||
der Zwanzigste ist schon genug. | |||||||
Wenn Sie erst mit allen noch rückständigen Theilen Ihres großen | |||||||
Unternehmens zu Stande sind, so werden Sie doch wohl auch auf | |||||||
gemachte Einwürfe antworten, welches meiner Meinung nach am zweckmäßigsten | |||||||
in der berliner Monatschrift geschehen könnte. Ich wei | |||||||
nicht ob Sie Hn. Tiedemans Aufsätze in den Hessischen Beyträgen | |||||||
gelesen haben. Ich habe nichts erhebliches darin gefunden; da er mir | |||||||
Sie fast durchgehends misverstanden zu haben scheinet. | |||||||
Ich wünsche Ihnen, Verehrungswürdigster Lehrer, das längste | |||||||
Leben; ich werde mit meinem Schicksale höchlich zufrieden seyn, wenn | |||||||
ich die Vollendung Ihres vortrefflichen Gebäudes erlebe. Nichts kann | |||||||
mir angenehmer seyn, als jede Nachricht die mich dem Anblicke davon | |||||||
näher bringt. Ich wünsche niemanden etwas Böses; aber die Verrenkung | |||||||
der Hand hätte doch gewiß hundert Scribler eher treffen können. | |||||||
Doch es ist gut, daß Sie nicht ein Uebel getroffen hat, das uns länger | |||||||
als um ein halbes Iahr zurückgesetzt hätte! | |||||||
Ich bin mit der innigsten und reinsten Verehrung | |||||||
Ihr | |||||||
Jena | ganz eigner und gehorsamster | ||||||
d. 20. Sept. 1785. | Schütz | ||||||
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