Kant: Briefwechsel, Brief 211, Von Iohann Schultz. |
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Von Iohann Schultz. | |||||||
28. Aug. 1783. | |||||||
Ew. HochEdelgebohrnen verzeihen gütigst, daß ich, theils durch | |||||||
Geschäfte, theils durch Zerstreuungen verhindert, Dero beiden geehrtesten | |||||||
Zuschriften nicht so gleich habe beantworten können. Für die mir | |||||||
geneigt zugeschickte Garvische Recension bin ich Ihnen sehr verpflichtet. | |||||||
Ich war wirklich auf dieselbe nicht wenig begierig, und es war mir | |||||||
daher um so angenehmer, meine Begierde schon früher gestillt zu sehen, | |||||||
als ich es vermuthen konnte. Sie ist um ein sehr Vieles beßer, als | |||||||
die elende Göttingsche, und zeigt in der That an, daß HE Garve Dero | |||||||
Critick mit vieler Mühe durchgedacht hat. Indeßen satisfacirt sie Dero | |||||||
so wichtigen Werke so wenig, daß sie vielmehr im Ganzen genommen | |||||||
noch immer einen nachtheiligen Schatten auf daßelbe wirft. Es scheint | |||||||
daher, daß mein geringer Aufsaz durch dieselbe noch nicht überflüßig | |||||||
gemacht worden, um so mehr, da Sie mir die so angenehme Versicherung | |||||||
zu geben beliebet, daß ich so glücklich gewesen sey, Ihren | |||||||
Sinn fast überall zu treffen, und ich also die Erreichung meiner Absicht | |||||||
hoffen darf, das Publikum mit dem wahren Zwecke und Inhalt | |||||||
Dero vortreflichen Werks auf eine Art bekannt zu machen, die ihm | |||||||
nicht zu viel Anstrengung kostet, als wofür sich unsere heutigen Philosophen | |||||||
beinahe zu scheuen scheinen. Dieses hat mich völlig bestimmt, | |||||||
Ihren Vorschlag zu befolgen, und meine Abhandlung nicht als Recension, | |||||||
sondern als eine besondere Schrift herauszugeben. Auf diese Art darf | |||||||
ich die Größe derselben nicht so ängstlich einschränken, und so kann | |||||||
ich auch die Anzeige des Inhalts noch etwas vollständiger machen, und | |||||||
nicht nur die Lehre vom Schematismus und den Reflexionsbegriffen, | |||||||
nebst den nöthigen Beweisen für die Grundsäze des reinen Verstandes | |||||||
und für die Paralogismen und Antinomien der reinen Vernunft mitnehmen, | |||||||
sondern auch die Dialectick überhaupt etwas ausführlicher und | |||||||
deutlicher abfaßen. In Ansehung des leztern sehe ich Dero mir gütigst | |||||||
versprochenen Eröfnung über das, was Sie hier noch einzuschieben | |||||||
nöthig halten, mit Vergnügen entgegen, indem ich voraus weiß, da | |||||||
mir dieses die Arbeit sehr erleichtern wird. Mit gleichem Vergnügen | |||||||
erwarte Dero versprochene Vorschläge, wie die Untersuchung der ganzen | |||||||
Sache am füglichsten anzustellen, und welche allgemeine Aufgaben zu | |||||||
allererst ausgemacht werden könnten, ehe man sich auf Dero eigene | |||||||
Art, sie aufzulösen, einließe. Denn ob ich mir gleich schon ungefähr | |||||||
den Plan gemacht, vor aller Beurtheilung erst die Hauptmomente zu | |||||||
bestimmen,auf welche alles ankommt, wenn die Grenze unserer metaphysischen | |||||||
Einsichten sicher angegeben werden soll, und dann zugleich | |||||||
die Art anzuzeigen, wie man bei dieser Untersuchung zu Werke gehen | |||||||
müßte; so bin ich gleich wohl überzeugt, daß durch Dero weiter sehende | |||||||
Gedanken mein Plan sehr viel gewinnen, ja vielleicht eine ganz andere | |||||||
Richtung erhalten wird. Die Stelle in Dero Prolegomenen habe ich | |||||||
wirklich aus Unachtsamkeit übersehen, und sie ist mir ein neuer Beweis, | |||||||
wie Dero Scharfsinnigkeit auch nicht der kleinste Umstand im Zusammenhange | |||||||
Ihres Systems entgangen ist. Da ich indeßen hieraus | |||||||
sehe, daß Sie jede dritte Categorie für einen Begrif, der schon von | |||||||
den beiden erstern abgeleitet ist, wirklich erkennen; so scheint mir hiedurch | |||||||
der Gedanke, den ich bei meiner Frage eigentlich zur Absicht | |||||||
hatte, völlig bestätigt zu seyn, daß gedachte dritte Categorie aus jeder | |||||||
Claße der Categorien weggenommen, und leztere also um den dritten | |||||||
Theil vermindert werden müsten, indem ich unter einer Categorie bloß | |||||||
einen Stammbegriff verstehe, der von keinem andern weiter abgeleitet ist. | |||||||
Die sinnreiche Idee, welche Ew. HochEdelgeb. in Absicht auf die | |||||||
Anwendung der Categorientafel zur Erfindung der artis characteristicae | |||||||
combinatoriae mir zu eröfnen beliebet, ist ganz vortreflich, und ich | |||||||
stimme Ihnen gerne bei, daß, wenn sie irgend möglich ist, sie auf | |||||||
diesem Wege vorzüglich angehen müste. Nur wüste ich außer Ihnen | |||||||
den Mann nicht, deßen schöpferisches Genie der Ausführung eines | |||||||
solchen Plans angemeßen wäre. | |||||||
Die Garvische Recension kommt hiebei mit dem gehorsamsten Dank | |||||||
zurück, wenn Sie aber dieselbe künftig wieder auf einige Zeit mir zu | |||||||
lehnen die Güte haben wollen, so würde es mir sehr angenehm seyn. | |||||||
Ich empfehle mich Dero Güte und Freundschaft bestens, und habe die | |||||||
Ehre, mit der größesten Hochachtung zu beharren | |||||||
Ew. HochEdelgebohrnen | |||||||
Königsberg | ganz ergebenster Diener | ||||||
den 28sten Aug. | JSchultz | ||||||
1783. | |||||||
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