Kant: Briefwechsel, Brief 205, An Christian Garve.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Christian Garve.      
           
  7. Aug. 1783.      
           
  Hochzuverehrender Herr      
           
  Schon lange habe ich in Ihrer Person einen aufgeklärten philosophischen      
  Geist und einen durch Belesenheit und Weltkenntnis geläuterten      
  Geschmak verehrt und mit Sultzern bedauert, daß so vorzügliche Talente      
  durch Krankheit gehindert werden, ihre ganze Fruchtbarkeit der Welt      
  zu gute kommen zu lassen. Ietzt genieße ich des noch reineren Vergnügens,      
  in Ihrem geehrten Schreiben deutliche Beweise einer pünctlichen      
  und gewissenhaften Redlichkeit und einer menschlichen theilnehmenden      
           
  Denkungsart anzutreffen, die jenen Geistesgaben den wahren      
  Werth giebt. Das letztere glaube ich nicht von Ihrem Götting'schen      
  Freunde annehmen zu können, der, gantz ungereitzt, seine ganze recension      
  hindurch (denn ich kan sie, nach der Verstümmelung, wohl die seinige      
  nennen) nichts als animositaet athmete. Es war doch in meiner      
  Schrift manches, was, wenn er gleich dem Aufschlusse der Schwierigkeiten,      
  die ich aufdeckte, seinen Beyfall nicht gab, doch wenigstens darum,      
  weil ich sie zuerst in dem gehörigen Lichte und im ganzen Umfange      
  dargestellet hatte, weil ich die Aufgabe, so zu sagen, auf die einfachste      
  Formel gebracht, wenn gleich nicht aufgelöset hatte, erwähnt zu werden      
  verdient hätte; so aber tritt er in einem gewissen Ungestüme, ja ich      
  kan wohl sagen mit einem sichtbaren Grimme, alles zu Boden, wovon      
  ich nur die Kleinigkeit anmerke, daß er auch das, in dieser Zeitung      
  sonst gewöhnliche und den Tadel etwas versüßende abgekürtzte Hr:,      
  vor dem Wort Verf: absichtlich wegließ. Diesen Mann kann ich aus      
  seiner Manier, vornemlich wo er seine eigene Gedanken hören läßt,      
  sehr wohl errathen. Als Mitarbeiter einer berühmten Zeitung hat er,      
  wo nicht die Ehre, doch wenigstens den Ehrenruf eines Verfassers auf      
  kurze Zeit in seiner Gewalt. Aber er ist doch zugleich auch selbst      
  Autor und setzt dabey auch seinen eigenen Ruf in Gefahr, die sicherlich      
  nicht so klein ist, als er sich vorstellen mag. Doch ich schweige davon,      
  weil Sie ihn Ihren Freund zu nennen belieben. Zwar sollte er      
  auch, obgleich in einem weiteren Verstande, mein Freund seyn, wenn      
  gemeinschaftlicher Antheil an derselben Wissenschaft und angestrengte,      
  obgleich fehlschlagende Bemühungen, um diese Wissenschaft auf einen      
  sicheren Fuß zu bringen, litterärische Freundschaft machen kan; allein      
  es kommt mir vor, daß es hier, eben so wie anderwerts, zugegangen      
  ist; dieser Mann muß besorgt haben, von seinen eigenen Ansprüchen      
  bey dergleichen Neurungen etwas einzubüssen; eine Furcht die ganz      
  ungegründet ist; denn hier ist nicht von der Eingeschränktheit der      
  Autoren, sondern des menschl: Verst: die Rede.      
           
  (Ich muß mir hier die Erlaubnis nehmen abzubrechen und mit      
  dem folgenden Blatte anzufangen weil das schlimme durchschlagende      
  Papier die Schrifft unleserlich machen würde      
           
  Sie können mir, geehrtester Herr, festiglich glauben, auch zu      
  aller Zeit auf der Leipziger Messe bey meinem Verleger Hartknoch erkundigen,      
  daß ich allen seinen Versicherungen, als ob Sie an der      
           
  Recension Antheil hätten, niemals geglaubt habe und nun ist es mir      
  überaus angenehm, durch Ihre Gütige Nachricht von meiner Vermuthung      
  die Bestätigung zu erlangen. Ich bin so verzärtelt und eigenliebig      
  nicht, daß mich Einwürfe und Tadel, gesetzt daß sie auch das, was      
  ich als das vorzüglichste Verdienst meiner Schrifft ansehe, beträfen,      
  aufbringen sollten, wenn nicht vorsetzliche Verhelung des Beyfallswürdigen,      
  was hin und wieder doch anzutreffen seyn möchte, und geflissentliche      
  Absicht zu schaden hervorleuchten. Auch erwarte ich Ihre      
  unverstümmelte Recension in der A. D. Bibliothek mit Vergnügen,      
  deren Besorgung Sie mir in dem vortheilhaftesten Lichte der Rechtschaffenheit      
  und Lauterkeit der Gesinnungen darstellt, die den wahren      
  Gelehrten characterisirt und welche mich jederzeit mit Hochachtung erfüllen      
  muß, Ihr Urtheil mag immerhin ausfallen wie es wolle. Auch      
  gestehe ich frey, daß ich auf eine geschwinde günstige Aufnahme meiner      
  Schrifft gleich zu Anfangs nicht gerechnet habe; denn zu diesem Zwecke      
  war der Vortrag der Materien, die ich mehr als 12 Iahre hinter      
  einander sorgfältig durchgedacht hatte, nicht der allgemeinen Faßlichkeit      
  gnugsam angemessen ausgearbeitet worden, als wozu noch wohl einige      
  Iahre erfoderlich gewesen wären, da ich hingegen ihn in etwa 4 bis      
  5 Monathen zu Stande brachte, aus Furcht, ein so weitläuftiges Geschäfte      
  würde mir, bey längerer Zögerung, endlich selber zur Last werden      
  und meine zunehmende Iahre (da ich jetzt schon im 60sten bin) möchten      
  es mir, der ich jetzt noch das ganze System im Kopfe habe, zuletzt      
  vielleicht unmöglich machen. Auch bin ich mit dieser meiner Entschließung,      
  selbst so wie das Werk da liegt, noch jetzt gar wohl zufrieden,      
  dermaßen daß ich, um wer weiß welchen Preis, es nicht ungeschrieben      
  wissen möchte, aber auch um keinen Preis die lange Reihe      
  von Bemühungen, die dazu gehöret haben, noch einmal übernehmen      
  möchte. Die erste Betäubung, die eine Menge ganz ungewohnter Begriffe      
  und einer noch ungewöhnlichern, obzwar dazu nothwendig gehorigen      
  neuen Sprache, hervorbringen mußte, wird sich verlieren. Es      
  werden sich mit der Zeit einige Puncte aufklären (dazu vielleicht meine      
  Prolegomena etwas beytragen können). Von diesen Puncten wird      
  ein Licht auf andere Stellen geworfen werden, wozu freylich von Zeit      
  zu Zeit ein erläuternder Beytrag meiner Seits erfoderlich seyn wird,      
  und so wird das Gantze endlich übersehen und eingesehen werden,      
  wenn man nur erstlich Hand ans Werk legt und indem man von      
           
  der Hauptfrage, auf die alles ankommt, (die ich deutlich gnug vorgestellt      
  habe) ausgeht, so nach und nach jedes Stück einzeln prüfen      
  und durch vereinigte Bemühungen bearbeiten will. Mit einem Worte      
  die Maschine ist einmal vollstandig da, und nun ist nur nöthig die      
  Glieder derselben zu glätten, oder Oel daran zu bringen, um die      
  Reibung aufzuheben, welche freylich sonst verursacht, daß sie still steht.      
  Auch hat diese Art von Wissenschaft dieses Eigenthümliche an sich,      
  daß die Darstellung des Ganzen erfoderlich ist jeden Theil zu rectificiren      
  und man also, um jenes zu Stande zu bringen, befugt ist diese eine      
  Zeitlang in einer gewissen Rohigkeit zu lassen. Hätte ich aber beydes      
  auf einmal leisten wollen, so würden entweder meine Fähigkeiten, oder      
  auch meine Lebenszeit dazu nicht zugereicht haben.      
           
  Sie belieben des Mangels der Popularität zu erwähnen, als      
  eines gerechten Vorwurfs, den man meiner Schrift machen kan denn      
  in der That muß jede philosophische Schrift derselben fahig seyn, sonst      
  verbirgt sie, unter einem Dunst von scheinbarem Scharf[s]inn, vermuthlich      
  Unsinn.* Allein von dieser Popularität läßt sich in Nachforschungen,      
  die so hoch hinauf langen, nicht der Anfang machen. Wenn ich es      
  nur dahin bringen kan, daß man im schulgerechten Begriffe, mitten      
  unter barbarischen Ausdrücken, mit mir eine Strecke fortgewandert      
  wäre, so wollte ich es schon selbst unternehmen (andere aber werden      
  hierinn schon glücklicher seyn) einen populären und doch gründlichen      
  Begriff, dazu ich den Plan schon bey mir führe, vom Ganzen zu entwerfen;      
  vor der Hand wollen wir Dunse ( doctores umbratici ) heissen,      
  wenn wir nur die Einsicht weiter bringen können, an deren Bearbeitung      
  freylich der geschmaksvollere Theil des Publici keinen Antheil nehmen      
  wird, ausser bis sie aus ihrer dunkelen Werkstatt wird heraus treten      
           
  und mit aller Politur versehen auch das Urtheil des letzteren nicht      
  wird scheuen dürfen. Haben Sie die Gütigkeit, nur noch einmal einen      
  flüchtigen Blick auf das Ganze zu werfen und zu bemerken, daß es      
  gar nicht Methaphysik ist, was ich in der Critik bearbeite, sondern      
  eine ganz neue und bisher unversuchte Wissenschaft, nämlich die Critik      
  einer a priori urtheilenden Vernunft. Andere haben zwar dieses      
  Vermögen auch berührt, wie Locke so wohl als Leibnitz, aber immer      
  im Gemische mit anderen Erkentniskräften niemand aber hat sich auch      
  nur in die Gedanken kommen lassen, daß dieses ein Obiect einer förmlichen      
  und nothwendigen, ja sehr ausgebreiteten Wissenschaft sey, die      
  (ohne von dieser Einschränkung, auf die bloße Erwägung des alleinigen      
  reinen Erkentnisvermögens, abzuweichen) eine solche Mannigfaltigkeit      
  der Abtheilungen erfoderte und zugleich, welches wunderbar      
  ist, aus der Natur desselben alle Obiecte, auf die sie sich erstrekt,      
  ableiten, sie aufzählen die Vollständigkeit durch ihren Zusammenhang      
  in einem ganzen Erkentnisvermögen beweisen kan; welches gantz      
  und gar keine andere Wissenschaft zu thun vermag, nämlich aus dem      
  bloßen Begriffe eines Erkentnisvermögens (wenn er genau bestimmt      
  ist) auch alle Gegenstände, alles was man von ihnen wissen kan, ja      
  selbst was man über sie auch unwillkührlich, obzwar trüglich zu urtheilen      
  genöthigt seyn wird, a priori entwickeln zu können. Die Logik, welche      
  jener Wissenschaft noch am ähnlichsten seyn würde, ist in diesem Puncte      
  unendlich weit unter ihr. Denn sie geht zwar auf jeden Gebrauch      
  des Verstandes überhaupt; kan aber gar nicht angeben, auf welche      
  Obiecte und wie weit das Verstandeserkentnis gehen werde, sondern      
  muß desfals abwarten was ihr durch Erfahrung oder sonst anderweitig      
  (z. B. durch Mathematik) an Gegenständen ihres Gebrauchs      
  wird geliefert werden.      
           
  Und nun, mein werthester Herr, bitte ich Sie, wenn Sie sich noch      
  in dieser Sache etwas zu verwenden belieben, Ihr Ansehen und Einflus      
  zu gebrauchen, um mir Feinde, nicht zwar meiner Person (denn ich      
  stehe mit aller Welt im Frieden) sondern jener meiner Schrift zu erregen      
  und zwar solche nicht anonymische, die nicht auf einmal alles,      
  oder irgend etwas aus der Mitte angreifen, sondern fein ordentlich      
  verfahren: zuerst meine Lehre von dem Unterschiede der analytischen      
  und synthetischen Erkentnisse prüfen, oder einräumen, alsdenn zu der      
  Erwägung jener, in den Prolegomenen deutlich vorgelegten allgemeinen      
           
  Aufgabe, wie synthetische Erkentnisse a priori moglich seyn, schreiten,      
  denn meine Versuche diese Aufgabe zu lösen nach der Reihe zu untersuchen      
  etc. Denn ich getraue es mir zu, förmlich zu beweisen, da      
  kein einziger wahrhaftig=metaphysischer Satz aus dem Ganzen gerissen      
  könne dargethan werden, sondern immer nur aus dem Verhältnisse,      
  das er zu den Qvellen aller unserer reinen Vernunfterkentnis überhaupt      
  hat, mithin aus dem Begriffe des möglichen Ganzen solcher      
  Erkenntnisse müsse abgeleitet werden etc. Allein so gütig und bereitwillig      
  Sie auch in Ansehung dieses meines Gesuchs seyn möchten, so      
  bescheide mich doch gerne, daß, nach dem herrschenden Geschmacke dieses      
  Zeitalters, das Schweere in speculativen Dingen als leicht vorzustellen,      
  (nicht leicht zu machen) Ihre gefälligste Bemühung in diesem Puncte      
  doch fruchtlos seyn würde. Garve, Mendelssohn u. Tetens wären wohl      
  die einzige Männer die ich kenne, durch deren Mitwirkung diese Sache      
  in eben nicht langer Zeit zu einem Ziele könte gebracht werden, dahin      
  es Iarhunderte nicht haben bringen können; allein diese vortrefliche      
  Männer scheuen die Bearbeitung einer Sandwüste, die, bey aller auf      
  sie verwandten Mühe, doch immer so undankbar geblieben ist. Indessen      
  drehen sich die menschliche Bemühungen in einem bestandigen Zirkel      
  und kommen wieder auf einen Punct, wo sie schon einmal gewesen      
  seyn; alsdenn können Materialien, die jetzt im Staube liegen, vielleicht      
  zu einem herrlichen Baue verarbeitet werden.      
  Sie haben die Gütigkeit, über meine Darstellung der dialektischen      
  Wiedersprüche der reinen Vernunft ein vortheilhaftes Urtheil zu fällen,      
  ob Sie gleich durch die Auflösung derselben nicht befriedigt werden.*      
  Wenn mein Göttingsch: Recens: auch nur ein einziges Urtheil dieser      
           
           
  Art von sich hätte erhalten können, so würde ich wenigstens nicht auf      
  einen bösen Willen gerathen haben, ich hätte (was mir nicht unerwartet      
  war) die Schuld auf die Verfehlung meines Sinnes in den mehresten      
  meiner Sätze, und also auch großentheils auf mich selbst geworfen      
  und, anstatt einiger Bitterkeit in der Antwort, vielmehr gar      
  keine Antwort, oder allenfalls nur einige Klage darüber, daß man,      
  ohne die Grundveste anzugreifen, nur so schlechthin alles verurtheilen      
  wollte, ergehen lassen; nun aber herrschte durch und durch ein so übermüthiger      
  Ton der Gringschätzung und Arroganz durch die ganze Recension,      
  daß ich nothwendig bewogen werden mußte dieses große genie,      
  wo möglich ans Tageslicht zu ziehen, um durch Vergleichung seiner      
  Producte mit den Meinigen, so gring sie auch seyn mögen, doch zu      
  entscheiden, ob denn wirklich eine so große Überlegenheit auf seiner Seite      
  anzutreffen sey, oder ob nicht vielleicht eine gewisse Autorlist dahinter      
  stecke, um dadurch, daß man alles lobt, was mit denen Sätzen, die in      
  seinen eigenen Schriften liegen, übereinstimmt, und alles tadelt, was      
  dem entgegen ist, sich unter der Hand eine kleine Herrschaft über alle      
  Autoren in einem gewissen Fache zu errichten (die, wenn sie gut beurtheilt      
  seyn wollen, durchaus genöthigt seyn werden, Weyrauch zu      
  streuen und die Schriften dessen, den sie als Recens: vermuthen, als      
  ihren Leitfaden zu rühmen) und sich so allmählich ohne sonderliche      
  Mühe einen Nahmen zu erwerben. Urtheilen Sie hiernach, ob ich      
  meine Unzufriedenheit, wie Sie zu sagen belieben, gegen den Göttingschen      
  Recensenten auf eine etwas harte Weise bewiesen habe.      
           
  Nach der Erläuterung, die Sie mir in dieser Sache zu geben beliebt      
  haben, nach welcher der eigentliche Recensent im incognito      
  bleiben muß, fällt, so viel ich einsehe meine Erwartung, wegen der      
  anzunehmenden Ausfoderung, weg, er müßte denn sich derselben willkührlich      
  stellen, d. h. sich entdecken, in welchem Falle selbst ich mich      
  gleichwohl verbunden halte, von dem wahren Vorgange der Sache, wie      
  ich ihn aus Ihrem gütigen Berichte habe, nicht den mindesten      
  öffentlichen Gebrauch zu machen. Übrigens ist mir ein gelehrter      
  Streit mit Bitterkeit so unleidlich, und selbst der Gemüthszustand,      
  darinn man versetzt wird, wenn man ihn führen muß, so wiedernatürlich,      
  daß ich lieber die weitläuftigste Arbeit, zu Erläuterung und Rechtfertigung      
  des schon geschriebenen, gegen den schärfsten, aber nur auf Einsichten      
  ausgehenden Gegner übernehmen, als einen Affect in mir rege machen      
           
  und unterhalten wollte, der sonst niemals in meiner Seele Platz findet.      
  Sollte indessen der Göttingsche Recens: auf meine Äußerungen in der      
  Zeitung antworten zu müssen glauben und zwar in der vorigen Manier,      
  ohne seine Person zu compromittiren, so würde ich (jedoch jener meiner      
  Verbindlichkeit unbeschadet) mich genöthigt sehen, diese lästige Ungleichheit      
  zwischen einem unsichtbaren Angreifer und einem aller Welt Augen      
  blosgestellten Selbstvertheidiger durch dienliche Maasregeln zu heben;      
  wiewohl noch ein Mittelweg übrig bleibt, nämlich sich öffentlich nicht      
  zu nennen, aber sich mir (aus den Gründen die ich in den Proleg:      
  angeführt habe) allenfalls schriftlich zu entdeken und den selbst zu wählenden      
  Punct des Streits öffentlich, doch friedlich kund zu thun und      
  abzumachen. Aber hier möchte man wohl ausrufen: O curas hominum !      
  Schwache Menschen, ihr gebt vor, es sey euch blos um Warheit und      
  Ausbreitung der Erkentnis zu thun, in der That aber beschäftigt euch      
  blos eure Eitelkeit!      
           
  Und nun, mein hochzuverehrender Herr, lassen Sie diese Veranlassung      
  nicht die einzige seyn, eine Bekanntschaft, die mir so erwünscht      
  ist, gelegentlich zu unterhalten. Ein Character von der Art, als Sie      
  ihn in Ihrer ersten Zuschrift blicken lassen, ist, ohne das Vorzügliche      
  des Talents einmal in Anschlag zu bringen, in unserer literärischen      
  Welt so häufig nicht, daß nicht derjenige, der Lauterkeit des Herzens,      
  Sanftmuth u. Theilnehmung höherschätzt, als selbst alle Wissenschaft,      
  bey so viel zusammen vereinigten Verdiensten ein lebhaftes Verlangen      
  fühlen sollte, damit in engere Verbindung zu treten. Ein jeder Rath,      
  ein jeder Wink, von einem so einsehenden und feinen Manne, wird      
  mir jederzeit höchstschätzbar seyn und, wenn meiner Seits und an      
  meinem Orte etwas wäre, womit ich eine solche Gefälligkeit erwiedern      
  könnte, so würde dieses Vergnügen verdoppelt werden. Ich bin mit      
  wahrer Hochachtung und Ergebenheit      
           
  Hochzuverehrender Herr      
           
    Ihr      
    gehorsamster Diener      
  Koenigsberg I Kant      
  den 7 Aug. 1783.        
           
           
           
           
    * Damit die meinen Lesern verursachte Unannehmlichkeit, durch die Neuigkeit der Sprache und schweer zu durchdringende Dunkelheit, mir nicht allein Schuld gegeben werde, so möchte ich wohl folgenden Vorschlag thun. Die Deduction der reinen Verstandesbegriffe oder Categorien d. i. die Möglichkeit gänzlich a priori Begriffe von Dingen überhaupt zu haben wird man höchstnotwendig zu seyn urtheilen, weil ohne sie reine Erkentnis a priori gar keine Sicherheit hat. Nun wollte ich daß jemand sie auf leichtere und mehr populaire Art zu Stande zu bringen versuchte; alsdenn wird er die Schwierigkeit fühlen die größte unter allen die die Speculation in diesem Felde nur immer antreffen kan. Aus anderen Qvellen aber als, die ich angezeigt habe, wird er sie niemals ableiten, davon bin ich völlig versichert.      
           
    * Der Schlüssel dazu ist gleichwohl dahin gelegt, obschon sein anfänglicher Gebrauch ungewohnt und darum schweer ist. Er besteht darinn, daß man alle uns gegebene Gegenstände nach zweyerley Begriffen nehmen kan, einmal als Erscheinungen und dann als Dinge an sich selbst. Nimmt man Erscheinungen vor Dinge an sich selbst und verlangt, als von solchen, in der Reihe der Bedingungen das Schlechthin=unbedingte, so geräth man in lauter Wiedersprüche, die aber dadurch wegfallen, daß man zeigt das Gänzlich=unbedingte finde unter Erscheinungen nicht statt, sondern nur bey Dingen an sich selbst. Nimmt man dagegen umgekehrt das, was als Ding an sich selbst von irgend etwas in der Welt die Bedingung enthalten kan, vor Erscheinung, so macht man sich Wiedersprüche, wo keine nöthig wären, e. g. bey der Freyheit und dieser Wiederspruch fällt weg, so bald auf jene Unterschiedene Bedeutung der Gegenstände Rücksicht genommen wird.      
           
     

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