Kant: Briefwechsel, Brief 201, Von Christian Garve. |
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Von Christian Garve. | |||||||
13. Iuli 1783. | |||||||
Hochzuverehrender Herr, | |||||||
Sie fordern den Recensenten Ihres Werks in den Göttingischen | |||||||
Zeitungen, auf, sich zu nennen. Nun kan ich zwar diese Recension, so | |||||||
wie sie da ist, auf keine Weise, für mein erkennen. Ich würde untröstlich | |||||||
seyn, wenn sie ganz aus meiner Feder gefloßen wäre. Ich | |||||||
glaube auch nicht, daß irgend ein anderer Mitarbeiter dieser Zeitung, | |||||||
wenn er allein gearbeitet hätte, etwas so übel zusammenhängendes | |||||||
würde hervorgebracht haben. Aber ich habe doch einigen Antheil daran. | |||||||
Und da mir daran gelegen ist, daß ein Mann den ich von jeher sehr | |||||||
hochgeschätzt habe, mich wenigstens für einen ehrlichen Mann erkennt, | |||||||
wenn er mich gleich als einen seichten Metaphysiker ansehen mag: so | |||||||
trete ich aus dem Incognito, so wie Sie es an einer Stelle Ihrer | |||||||
Prolegomenen verlangen. Um Sie aber in den Stand zu setzen, richtig | |||||||
zu urtheilen: muß ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen. Ich bin | |||||||
kein Mitarbeiter der Göttingischen Zeitung. Vor zwey Iahren that | |||||||
ich, (nachdem ich viele Iahre, äußerst kränklich, müßig u. im Dunkeln, | |||||||
in meinem Vaterlande zugebracht hatte) eine Reise nach Leipzig, durch | |||||||
die Hannöverischen Lande, u. bis Göttingen. Da ich viele Erweisungen | |||||||
von Höflichkeit u. Freundschaft, von Heyne dem Director, u. mehrern | |||||||
Mitarbeitern dieser Zeitung, erhielt: so weiß ich nicht, welche Bewegung | |||||||
von Dankbarkeit, mit einiger Eigenliebe vermischt, mich antrieb, mich | |||||||
freywillig zu dem Beytrage einer Recension zu erbieten. Da eben | |||||||
damals Ihre Critik der reinen Vernunft herausgekommen war, u. ich | |||||||
mir von einem großen Werke das Kanten zum Verfasser hätte, ein | |||||||
sehr großes Vergnügen versprach, da mir seine vorhergegangenen kleinen | |||||||
Schriften schon so vieles gemacht hatten; u. da ich es zugleich für | |||||||
mich selbst für nützlich hielt, ein motif zu haben, dieses Buch mit mehr | |||||||
als gewöhnlicher Aufmerksamkeit durchzulesen: so erklärte ich mich, ehe | |||||||
ich noch Ihr Werk gesehen hatte, es zu recensiren. Dieses Versprechen | |||||||
war übereilt u. dieß ist in der That, die einzige Thorheit deren ich | |||||||
mir bey der Sache bewußt bin, u. die mich noch reut. Alles folgende | |||||||
ist entweder eine Folge meines wirklichen Unvermögens, oder | |||||||
Unglück. Ich erkante bald, da ich das Werk anfieng zu lesen, daß ich | |||||||
unrecht gewählt hatte; daß diese Lecture, besonders jetzt, da ich auf | |||||||
der Reise, zerstreut, noch mit andrer Arbeit beschäftigt, seit vielen | |||||||
Iahren geschwächt, u. auch damals, wie immer, kränklich war, für mich | |||||||
zu schwer sey. Ich gestehe Ihnen, ich weiß kein Buch in der Welt, | |||||||
das zu lesen mir soviel Anstrengung gekostet hätte: u. wenn ich mich | |||||||
nicht durch mein einmal gegebnes Wort gebunden geglaubt hätte, so | |||||||
würde ich die Durchlesung desselben auf bessere Zeiten ausgesetzt haben, | |||||||
wo mein Kopf und mein Körper stärker gewesen wären. Ich bin indeß | |||||||
nicht leichtsinnig zu Werke gegangen. Ich habe alle meine Kräfte, u. | |||||||
alle Aufmerksamkeit deren ich fähig bin, auf das Werk gewandt; ich | |||||||
habe es ganz durchgelesen. Ich glaube, daß ich den Sinn der meisten | |||||||
Stellen einzeln, richtig gefaßt habe: ich bin nicht so gewiß, ob ich das | |||||||
Ganze richtig überschauet habe. - Ich machte mir Anfangs, einen | |||||||
vollständigen Auszug, der mehr als 12 Bogen betrug, untermischt mit | |||||||
den Ideen, die mir während des Lesens sich aufdrangen. Es thut | |||||||
mir leid, daß dieser Auszug verlohren gegangen ist: er war vielleicht, | |||||||
wie oft meine ersten Ideen besser, als was ich nachher daraus gemacht | |||||||
habe. Aus diesen 12 Bogen, die niemals eine Zeitungs=Recension | |||||||
werden konten, arbeitete ich, allerdings mit vieler Mühe, (da ich auf | |||||||
der einen Seite mich einschränken, auf der andern verständlich seyn u. | |||||||
dem Buche ein Gnüge thun wollte) eine Recension aus. Aber auch | |||||||
diese war weitläuftig genung: u. es ist in der That nicht möglich, | |||||||
von einem Buche, dessen Sprache erst dem Leser bekant gemacht werden | |||||||
muß, eine kurze Anzeige zu machen, die nicht absurd sey. - Diese | |||||||
letztre, ob ich gleich einsahe, daß sie länger wäre, als die längste der | |||||||
Gottingischen Recensionen, schickte ich ein: in der That weil ich selbst | |||||||
nicht sie abzukürzen wußte ohne sie zu verstümmeln. Ich schmeichelte | |||||||
mir, daß man in Göttingen, entweder der Größe u. Wichtigkeit des | |||||||
Buchs wegen, von der gewöhnlichen Regel abweichen, oder, daß, wenn | |||||||
die Recension durchaus zu lang wäre, man besser als ich verstehen | |||||||
würde, sie zu verkürzen. Diese Absendung geschah von Leipzig aus | |||||||
auf meiner Rückreise. - Lange Zeit, (nachdem ich in mein Vaterland | |||||||
Schlesien zurückgekommen war) erscheint nichts: endlich erhalte ich das | |||||||
Blat, worin das stehen soll, was meine Recension heißt. Sie können | |||||||
glauben, daß Sie selbst nicht so viel Unwillen oder Mißvergnügen bey | |||||||
dem Anblick derselben haben empfinden können, als ich. Einige phrases | |||||||
aus meinem Mscrpt waren in der That beybehalten; aber sie betragen | |||||||
gewiß nicht den 10ten Theil meiner, u. nicht den 3ten der Göttingischen | |||||||
Recension. Ich sah, daß meine Arbeit, die wirklich nicht ohne Schwierigkeit | |||||||
gewesen war, so gut als vergeblich geworden, u. nicht nur vergeblich, | |||||||
sondern schädlich. Denn wenn der Gottingische Gelehrte, der | |||||||
meine Recension abkürzte u. interpolirte, auch nach einer flüchtigen | |||||||
Lecture Ihres Buchs etwas eignes darüber gemacht hätte: so würde | |||||||
es besser u., wenigstens zusammenhängender geworden seyn. Um mich | |||||||
bey meinen vertrauten Freunden, welche wußten, daß ich für Göttingen | |||||||
gearbeitet hatte, zu rechtfertigen; u. bey diesen wenigstens den nachtheiligen | |||||||
Eindruck zu schwächen, den diese Recension bey jedermann | |||||||
machen mußte: schickte ich mein Mscrpt, nachdem ich es in einiger Zeit | |||||||
von Göttingen wiedererhalten, an Rath Spalding in Berlin. Seitdem | |||||||
hat mich Nicolai ersucht, sie in seiner Allgem. D. B. einrücken zu | |||||||
lassen. Und ich habe es ihm zugestanden, mit dem Bedinge, wenn | |||||||
einer meiner Berlinschen Freunde sie mit der Götting. Rec. vergleichen, | |||||||
u. theils die dort beybehaltenen phrases abändern, th. überhaupt erst | |||||||
bestimmen wollte, ob es der Rede werth sey. Denn ich bin ganz außer | |||||||
Stande, jetzt eine Hand mehr anzulegen. - Nun weiß ich weiter nichts | |||||||
davon. - Mit diesem Briefe schreibe ich zugleich an HE. Spalding; | |||||||
u. bitte ihn, wofern das Mscpt noch nicht abgedruckt ist, es copiren | |||||||
zu lassen, u. es nebst meinem Briefe an Sie zu übersenden. Alsdann | |||||||
mögen Sie vergleichen. Sind Sie mit dieser meiner Recension eben | |||||||
so unzufrieden, wie mit der Göttingischen: so ist es ein Beweis, da | |||||||
ich zu Beurtheilung eines so schweren u. tiefsinnigen Buchs nicht | |||||||
penetration genug habe, u. daß es für mich nicht geschrieben ist. Ich | |||||||
glaube demohnerachtet, daß Sie, wenn Sie auch damit unzufrieden | |||||||
sind, doch glauben werden, mir einige Achtung u. Schonung schuldig | |||||||
zu seyn; noch gewisser hoffte ich, daß Sie mein Freund seyn würden, | |||||||
wenn wir uns persönlich kennten. | |||||||
Ich will das nicht ganz von mir ableugnen, was Sie dem | |||||||
Göttingischen Recensenten Schuld geben, daß er über den Schwierigkeiten, | |||||||
die er zu überwinden gehabt, unwillig geworden sey. Ich gestehe, | |||||||
ich bin es zuweilen geworden; weil ich glaubte es müsse möglich | |||||||
seyn, Wahrheiten, die wichtige Reformen in der Philosophie hervorbringen | |||||||
sollen, denen welche des Nachdenkens nicht ganz ungewohnt | |||||||
sind, leichter verständlich zu machen. Ich habe die Größe der Kraft | |||||||
bewundert, welche fähig gewesen ist, eine solche lange Reyhe von äußersten | |||||||
Abstractionen, ohne ermüdet, ohne unwillig, u. ohne von ihrer Bahn | |||||||
abgebracht zu werden, zu durchdenken. Ich habe auch, in sehr vielen | |||||||
Theilen Ihres Buchs, Unterricht und Nahrung für meinen Geist gefunden, | |||||||
z. E. eben da wo sie zeigen, daß es gewisse widersprechende | |||||||
Sätze gebe, die doch gleich gut bewiesen werden können. Aber das ist | |||||||
auch jetzt noch meine Meynung, vielleicht eine irrige: daß das Ganze | |||||||
Ihres Systems, wenn es wirklich brauchbar werden solle populärer | |||||||
ausgedrückt werden müsse, u. wenn es Wahrheit enthält, auch ausgedrückt | |||||||
werden könne; und daß die neue Sprache, welche durchaus in | |||||||
demselben herrscht, so großen Scharfsinn auch der Zusammenhang verräth, | |||||||
in welchen die Ausdrücke derselben gebracht worden, doch oft die | |||||||
in der Wissenschaft selbst vorgenommene Reform, oder die Abweichung | |||||||
von den Gedanken andrer, noch größer erscheinen mache, als sie wirklich | |||||||
ist. | |||||||
Sie fordern Ihren Recensenten auf, von jenen widersprechenden | |||||||
Sätzen einen so zu erweisen, daß der gegenseitige nicht eines gleich | |||||||
guten Beweises fähig sey. Diese Aufforderung kan meinen Gottingischen | |||||||
Mitarbeiter angehn, nicht mich. Ich bin überzeugt, daß es in unsrer | |||||||
Erkentniß Gränzen gebe; daß sich diese Gränzen eben dann finden, | |||||||
wenn sich aus unsern Empfindungen, solche wiedersprechende Sätze, mit | |||||||
gleicher Evidenz entwickeln lassen. Ich glaube, daß es sehr nützlich | |||||||
ist, diese Gränzen kennen zu lernen, u. sehe es als eine der gemeinnützigsten | |||||||
Absichten Ihres Werks an, daß sie dieselben deutlicher u. | |||||||
vollständiger als noch geschehen, auseinandergesetzt haben. Aber das | |||||||
sehe ich nicht ein, wie Ihre Critik der reinen Vernunft, dazu beytrage, | |||||||
diese Schwierigkeiten zu heben. Wenigstens ist der Theil Ihres Buchs, | |||||||
worinn sie die Widersprüche ins Licht setzen, ohne Vergleich klärer u. | |||||||
einleuchtender, (und dieß werden Sie selbst nicht läugnen,) als derjenige, | |||||||
wo die Principien festgestellt werden sollen, nach welchen diese | |||||||
Widersprüche aufzuheben sind. | |||||||
Da ich jetzt, auch auf der Reise u., ohne Bücher bin, und weder | |||||||
Ihr Werk noch meine Recension zur Hand habe: so betrachten Sie | |||||||
das, was ich hier darüber sage, bloß als flüchtige Gedanken, über | |||||||
welche Sie selbst nicht zu strenge urtheilen müssen. Habe ich hier, habe | |||||||
ich in meiner Recension, Ihre Meynung u. Absicht unrichtig vorgestellt, | |||||||
so ist es, weil ich sie unrecht gefaßt habe, oder mein Gedächtniß mir | |||||||
ungetreu ist. Den bösen Willen die Sache zu verstellen, habe ich nicht, | |||||||
u. bin desselben nicht fähig. | |||||||
Zuletzt muß ich Sie bitten, von dieser Nachricht keinen öffentlichen | |||||||
Gebrauch zu machen. Ohnerachtet mir die Verstümmelung meiner | |||||||
Arbeit, in den ersten Augenblicken, da ich sie erfuhr, eine Beleidigung | |||||||
zu seyn schien: so habe ich sie demohnerachtet, dem Manne, welcher sie | |||||||
nöthig gefunden, völlig vergeben: theils weil ich durch die Vollmacht, | |||||||
welche ich ihm ertheilt, selbst daran Schuld bin; theils weil ich außerdem | |||||||
Ursache habe ihn zu lieben u. hochzuschätzen. Und doch müßte | |||||||
er es als eine Art von Rache ansehn, wenn ich bey Ihnen dagegen | |||||||
protestirt hätte, nicht Autor der Recension zu seyn. Viele Personen | |||||||
in Leipzig u. Berlin wissen, daß ich die Göttingische Recension habe | |||||||
machen wollen, u. wenige, daß von derselben nur der kleinste Theil | |||||||
mein ist, ob also gleich die Unzufriedenheit die sie, zwar mit Recht, | |||||||
aber doch auf eine etwas harte Weise, gegen den Göttingischen Recensenten | |||||||
bezeigen, in den Augen aller dieser, auf mich ein nachtheiliges | |||||||
Licht wirft: so will ich dieß doch lieber als die Strafe einer Unbesonnenheit | |||||||
(denn dieß war das Versprechen zu einer Arbeit deren | |||||||
Umfang u. Schwierigkeit ich nicht kannte) tragen, als eine Art von | |||||||
öffentlicher Rechtfertigung erhalten, die meinen Göttingischen Freund | |||||||
compromittiren müßte. | |||||||
Ich bin, mit wahrer Hochachtung u. Ergebenheit | |||||||
Hochzuverehrender Herr | |||||||
Leipzig | Leipzig Ihr gehorsamster F. u. D. | ||||||
d. 13 Jul. 1783. | Garve. | ||||||
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