Kant: Briefwechsel, Brief 187, Von Heinrich Christian Reichsgraf v. Keyserling.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Heinrich Christian Reichsgraf v. Keyserling.      
           
  29. Dec. 1782.      
           
  HochEdelgebohrner Herr      
  Insonders HochgeEhrter Herr Professor,      
           
  Verzeihen Ew. Hochedelgeb: es mir, wann ich Dero geEhrtes      
  Schreiben d. d 30 Novbr nicht so prompte beantwortet habe, als es      
  meine Schuldigkeit und der Anstand erfordern. Kleine Reisen und      
  zum Theil unangenehme Vorfälle beschäfftigten mich mit Angelegenheiten,      
  die theils Politische Ursachen, theils auch Pflichten der Freündschafft      
  zum Grunde hatten, die ich um so weniger hindansetzen konte,      
  weil selbige durch das Band der Natur ein größeres Gewicht hatten.      
           
  Die Durchreise des Printzen von Würtenberg gab mir auf sein schrifftliches      
           
  Begehren die Veranlaßung eine tour nach Litthauen zu machen,      
  weil er sich in Curland und in Mietau gar nicht aufhalten wollte.      
  Der Graf und die Grafin von Norden appointirten uns nach Mietau,      
  wo wir wegen der ungewißen Bestimmung, wann sie daselbst eintreffen      
  würden, einen längeren Auffenthalt machen mußten, als wir vermutheten      
  und als es uns angenehm war. Ich habe den ersteren, den      
  ich nunmehr GroßFürst von Rußland nenne, in seinem Betragen und      
  in seiner Representation nicht geändert gefunden, vielmehr scheint seine      
  Politesse, Leutseeligkeit und popularité zugenommen zu haben. Die      
  GroßFürstin hingegen scheinet die Representation ihrer Aussicht angenommen      
  zu haben. Iede Aussicht ist und bleibt aber immer ungewiß,      
  so lange bis sie in ihre Erfüllung gegangen ist, und so lange scheinet      
  auch eine solche Representation, nicht so angebracht zu seyn, daß sie      
  den Beyfall des Publici erwarten kan, wann gleich das Publicum nicht      
  so laut schreyet, daß deßen Urtheil zu ihrem Ohre kommt. Doch      
  können auch solche große Persohnen entschuldiget werden. Die Großen      
  werden meistenstheils durch die Erhebungen ihrer Scheinverdienste von      
  denen Schmeichlern in würklichen Uebeln eingeschläffert: Wie viele dergleichen      
  mag die Prinzeßin auf allen ihren Reisen nicht angetroffen haben,      
  die denen ScheinTugenden einen Anstrich zu geben gewußt haben,      
  die ihre Hoheit und ihren Reichtum bewundert haben: Ist es dann      
  Wunder, wann die Representation einer GroßFürstin sich in die Representation      
  einer regierenden Kayserin verwandelt hat? Ob selbige      
  auch in Petersburg beybehalten werden wird? ist eine Frage, die wie      
  ich glaube sich selbst beantwortet. Der GroßFürst ist außerordentlich      
  poli gegen den Herzog gewesen, dem er die Visite auf dem Schlo      
  gemacht und ausdrücklich von ihm begehrte ihn mit der Herzogin bekannt      
  zu machen, der er die Visite in ihren Zimmern gab. Er erschien in      
  Trauer, weil der Herzog und die Herzogin um die alte Herzogin      
  trauern. Doch genug von politicis in dieser Art. Der Todt unsers      
  jüngsten GroßSohnes und vornehmlich das Absterben meiner Schwester      
  Mannes, des LandMarschalls v. Medem ein Vater Bruder der Herzogin,      
  gaben mir traurige aber solche Beschäfftigungen die mit Pflichten verknüpft      
  waren. Er war ein Muster rechtschaffener Gesinnungen gegen      
  Gott und Menschen.      
           
  Nunmehro kan ich mit ruhiger GemüthsFaßung Dero gütiges      
  Schreiben, welches mir viel Freüde machte mit Muße beantworten.      
           
           
  Ich übernehme mit Freüden, die mir zugeschickte Ankündigungen      
  des HEn Prof: Mangelsdorff in meinem Vaterlande und denen ihm      
  angrenzenden Ländern, besonders in Litthauen, wo der barbarismus      
  nach dem moralischen Barometre noch ein wenig höher gestiegen ist,      
  als in Curland, bekannt zu machen, dahero ich wohl wünschte noch      
  dergleichen sechß Ankündigungen zu haben, um sie unter meine Verwandte      
  in Litthauen zu vertheilen. Wie sehr wünsche ich, daß meine      
  bemittelte LandsLeüte, die schöne Gelegenheit nutzen mögte, die ihnen      
  der HE Prof: Mangelsdorff darbietet ihre Kinder zu bilden und zu      
  nützliche Glieder der Menschlichen Gesellschafft zu machen. Bißhero      
  kan man bey der Geburt eines jeden Curlandischen und Litthauischen Edelmannes      
  in concreto behaupten, daß die biß zum äußersten Greüel      
  angewachsene Menge der adelichen Müßiggänger vermehret worden.      
  Der Größte Haufen des Curländischen und Litthauischen Adels ist      
  arm und dahero so unglücklich daß er nicht im Stande ist seinen      
  Kindern einen solchen Unterricht zu geben, der sie vorbereite, den      
  Unterricht nutzen zu können, den der HE: Prof Mangelsdorff darbietet.      
  Die 40 oder 50 Edelleüte, die in denen beyden Provintzen bemittelt      
  gnug sind, um ihren Kindern eine gute Erziehung zu geben,      
  bekümmern sich wenig um die Erziehung ihrer Kinder, theils weil sie      
  auch so von ihren Eltern, erzogen worden, theils weil sie sich mit      
  ihrer Wirtschafft, oder mit Vergnügungen beschäfftigen, welche ihnen      
  die lange Weile vertreibt. Sie glauben also die Elterliche Pflicht im      
  höchsten Grad erfüllt zu haben wann sie ihren Kindern einen HoffM[ei]st[e]r      
  halten, oder selbige bey einem LandPriester, der für einen sehr wohlfeilen      
  Preiß sich den Nahmen eines Grundgelehrten Mannes erworben      
  hat, in pension geben, wo der hoffnungsvolle Iüngling bloß durch den Umgang      
  mit dem HEn Pastor ein Gelehrter werden soll. Wie viel sich ein      
  Mann der eine Gemeinde von 1500 biß 2000 Seelen hat, der alle Sonn      
  und Feyer Tage predigen soll und gar öffters eine oder zwey Meilen zu      
  Kranken fahren muß, überdem eine ordentliche LandWirtschafft, wie      
  ein Gutsbesitzer, hat, sich mit seinen jungen Zöglingen abgeben kan,      
  überlaße ich einem jeden zu beurtheilen. Inzwischen wächßt der junge      
  Herr heran und der Vater beurtheilet nicht nach denen Fähigkeiten      
  und erlangten Kenntnißen seines Sohnes, sondern nach deßen Iahren      
  oder Wuchß, die Frage ob er ihn nunmehro auf eine hohe Schule      
  schicken soll, wobey er, den Einschnitt des Jahres oder die Preise des      
           
  Getreydes hauptsachlich in Erwegung ziehet. Fällt nun die Entscheidung      
  affirmative aus für die Verschickung auf die Accademie, und sollte der      
  HE Professor Mangelsdorff jemahls einen solchen Iüngling im Hause      
  bekommen, so mag er sich vorbereiten einen jungen Menschen zu bekommen,      
  deßen Gemählde ich Ew: HochEdelgeb. schildern will indem      
  ich ihn redend aufführe und sich selbst schildern laße, wie folget:      
           
  Ich gehe in mein 17tes oder achtzehendes Iahr, und kan      
  weder recht lesen noch recht schreiben noch auch gut rechnen. Ich      
  denke mich aber doch klug genug. Mein Vortrag im Teütschen      
  ist schlecht, vom lateinischen habe ich nichts gelernet. Ich brauche      
  es auch nicht, denn wenn ich einmahl in Landes Angelegenheiten      
  nach Pohlen verschickt werde, so nehme ich einen Studenten oder      
  noch beßer einen Advocaten mit, warum soll ich mir also den      
  Kopf mit der dummen Sprache zerbrechen. Französisch kan ich      
  auch nicht, aber das kan ich leicht lernen. Mein Vater muß mich      
  auf ein Iahr in Französische Dienste gehen laßen.      
           
  Ich habe viele Begierden, davon einige schwach, einige stark      
  sind. Von der Mäßigung weiß ich nichts. Ich eße, was mir      
  schmeckt und trinke so viel ich kan. Der Eigennutz gehört vornehmlich      
  zu dem Caracter meiner DenkungsArt. Die Uberlegung      
  kan diese Fehler nicht schwächen, weil ich mit dem vielen      
  Überlegen mich gar nicht abgeben will. Wann mein Vater und      
  meine Mutter einmahl sterben, so werde ich wohl ein schönes      
  Gut bekommen, aber das ist fatal, daß ich an meine Geschwister      
  werde auszahlen müßen. Wann diese mögten sterben, so könte      
  ich recht reich und glücklich seyn. Gegen alle Hochachtung, die      
  man durch Witz und Schein des Verdienstes erlanget, bin ich      
  gleichgültig, wenn ich nur Geld habe oder auf den LandTägen      
  werde brav schreyen können, wird man mich schon achten.      
  Die Religion ist eine Neben=Sache, von der ich werde Gebrauch      
  machen wann sie mir was einbrengt z. B. bey meiner alten      
  Tante, will ich mich recht andächtig stellen, vielleicht vermacht      
  sie mir das Capital, was bey meinen Vater steht.      
           
  Wann ich alleine bin wird mir die Zeit sehr lang. In      
  gesellschafften führe ich gerne das Wort und rede nicht von etwas      
  lieber, als von Pferden, Iagdhunden, IagdFlinten und von      
  Maedgens. Spielen vertreibt mir auch die Zeit und die Pfeiffe      
           
           
  Toback ist mir eine große ressource. Ich bin so lange Freünd      
  von einem, als er mir nützlich seyn kan. Von meinen ersten      
  Regungen bin ich nicht Meister und suche auch nicht es zu werden.      
  Wann ich mich beleidigt glaube so schimpfe ich oder schlage      
  gleich loß. Dann Point d'honneur habe ich recht viel. Wann      
  meine Vorgesetzte meine Fehler mir vorrücken, so laße ich sie      
  reden und lache über sie. Ich lobe nicht gerne etwas außer      
  meinem Vaterland, wo ich alles beßer halte. Das Andenken      
  eines geleisteten Dienstes verliehret sich bald bey mir, und ich      
  hüte mich davon mit andern zu sprechen. Ich schertze gerne,      
  weil ich glaube daß ich den erforderlichen Witz dazu habe. Ich      
  kenne keine große Traurigkeit, weil mich Gott lob nichts so      
  außerordentlich rührt, daß es auf mein Gemüth einen wehmüthigen      
  Eindruk macht. Sehe ich bey andern Gebrechen oder Fehler,      
  sie mögen moralisch oder Physisch seyn so freüe ich mich, weil      
  ich meinen Witz anbringen kan. Geschmack habe ich an nichts.      
  Doch möchte ich wohl gut drechßeln können, oder sonst etwas von      
  einem Handwerk wißen. Ich habe gesehen daß mein Vater und mein      
  MutterBruder sich damit die Zeit vertreiben, wenn sie alleine sind.      
           
  Hier haben Sie lieber Freund die Squizze eines jungen Edelmanns      
  dem man auf Universitaeten oder wann die Eltern das Vermögen      
  nicht haben, in frembde Militair Dienste schicket. Was eine      
  solche Erziehung auf die Menschliche Gesellschafft im Staat und auf      
  den Staat selbst für einen Einfluß hat, zeiget die innerliche Lage des      
  Landes, die ohnmöglich so bleiben kan. Herr Hamann sagte einmahl,      
  daß die Curländer keine Seelen hätten, bey ihnen wäre alles Magen.      
  Ich muß ihm in der That beypflichten: Allein stellen sie sich nun einen      
  Staat vor der von lauter Magen regieret wird, dann auf unsern      
  Kirchspiels und Land=Tägen, bringt ein jeder Edelmann und Deputirte      
  seine portiunculam Majestatis mit sich. Nun aber genug von dieser      
  Materie, die wenn ich werde so glücklich seyn wieder einmahl mit Ew.      
  HochEdelgeb: in Gesellschafft zu seyn uns auch Stoff zu unsern Unterhaltungen      
  geben wird. Ich schreite nunmehro zu einer andern Materie      
  zu welcher Dieselben mir in Dero Schreiben durch die darinnen angeführte      
  Rußisch Kayserl. Ukase, Veranlaßung geben.      
           
  Für das erste muß ich dem Königsbergischen Publico den Irrthum      
  benehmen, als wann in Curland eine Rußische Ukase publicirt worden,      
           
  vermöge welcher denen Curländern verbothen worden, ihr Getreyde      
  und übrige Lebens Mittel durch ihre eigene Häfen zu verschiffen, sondern      
  solches nach Riga zu führen. Bißhero ist Curland noch immer von      
  Ukasen befreyet gewesen. Wann Rußische Truppen im Lande waren,      
  so bekamen die Befehlshaber wohl Ukasen, die einen Bezug auf unser      
  Land hatten, und sie veranlaßten mit der Regierung oder mit dem      
  Adel zu conferiren, allein directe an die Regierung oder dem Adel ist      
  noch niemahlen eine Ukase gerichtet gewesen. Eine ähnliche Bewandni      
  hat es mit der Ukase, deren Ew. HochEdelgeb: in Dero Schreiben      
  erwehnen. Diese ist an den General Brown als Gouverneur von      
  Lieffland gerichtet gewesen, nicht aber in der Art, daß dem Hertzog      
  und dem Lande befohlen werden soll, sondern vom Hertzog eine Erklährung      
  begehrt werden mögte, daß er den zwischen den Hertzog Friedrich      
  von Curland und der Stadt Riga im Iahr 1615 errichteten Vertrag      
  in Erfüllung zu bringen, die gehörige Anordnung machen mögte.      
           
  Dieser Vertrag hat einigen gewinnsüchtigen Leüten, die Veranlaßung      
  gegeben bey dem Commercien Collegio in Petersburg eine Vorstellung      
  einzugeben und eine Ukase durch das Vorwort solcher Persohnen zu      
  exportiren, die eben so wenig wißen, daß die Geschichte eines Vertrags,      
  den Sinn deßselben erkläret, als sie den titulum de interpretatione      
  verborum aus des Grotius oder Puffendorf Jus naturae kennen. Weil ich      
  mit einem Gelehrten correspondire und mit einem Manne, der von      
  jeder Sache gerne gründlich urtheilen zu können, wünschet, in Historischen      
  Fällen aber richtige Data und facta, dazu erforderlich sind, so erlauben      
           
  Ew. HochEdelgeb: daß ich denenselben einen Statum causae, so      
  Summarisch als es nur mir wird möglich seyn, von dieser Angelegenheit      
  communicire.      
  Wann Ew: HochEdelgeb: die Carte von Lieffland und Curland      
  vor sich nehmen und die ersten Verhandlungen dazugenommen werden,      
  welche abgeschloßen worden, als sich das Herzogthum Curland durch      
  seine neüe eigengewählte RegierungsVerfaßung von dem übrigen      
  Lieffland trennte, so findet man, daß die Dwina vorzüglich zur Grentzlinie      
  bestimmt worden. Diese sonst ziemlich sichere Bestimmung der      
  Grentzen, gab aber in der Folge Anlaß zu allerhand Streitigkeiten mit      
  der Stadt Riga, die bald das Dominium utile auf diesen Fluß, bald      
  den Handel zum Gegenstand hatten: Diese Händel fiengen gleich zu      
  Herzogs Gotthards Zeiten, an, der doch der erste Herzog war, und      
           
  dauerten biß 1615, in welchem Iahr d. 21. oct., der Hertzog Friedrich      
  sich mit der Stadt Riga vergliche. Um nicht in meinem schon zu      
  langen Brief noch weitläuffiger zu werden, verweise ich Ew. HochEdelgeb:      
  auf des HEn Geheime Rath v. Ziegenhorn Curländisches Staats=Recht      
  deßselben Beylagen sub no: 90 und no. 100. Erstere ist eine Protestation      
  der Stadt Riga und letztere ist der Vertrag, deßen in der Rußischen Ukase      
  erwehnet wird. In eben diesen Vertrag, der fürnehmlich die Streitigkeiten      
  wegen des Dwina Flußes zum Gegenstand hatte und durch      
  selbige veranlaßet worden befindet sich unter mehreren außer dem      
  Dwina Fluß betreffenden Angelegenheiten auch folgender Satz      
           
  "Und weil über I. I. F. F. G. G. Portus, Windau et      
  "Liebau längst dem Strande etliche von Adel sich unterstanden      
  "neüe Portus zu eröfnen, welche auch dem Königl. Portorio nachtheilig      
  und abbrüchig seyn; Als haben I. I. F. F. D. D. mit      
  "der Stadt Riga sich vereiniget, sich bey der Königl. Majt. zu      
  "bemühen, damit solch ein verfänglich Ein= und Ausschiffen abgeschaffet      
  werden möge; Immaßen I. I. F. F. G. G. auch      
  "sonst langes Strandes keine Abschiffung ferner zu laßen, und      
  "darzu die Schutten, soviel deren vorhanden, bei den Bauren      
  "nicht weiter gedulden, auch in geregten ihren Häfen Sommer      
  "Korn und andere Victualien hinführo abzuschiffen nicht      
  "gestatten wollen. etc.      
           
  Diesen letzten passum, den ich unterstrichen habe, haben einige      
  dahin zu deüten gesucht, daß in ganz Curland alles Sommer Getreyde      
  nach denen Häfen Liebau uud Windau nicht verführet werden darff,      
  sondern von Riga aus verschiffet werden müßte, und sich hinter das      
  Commercien Collegium in Petersburg gestekt, um die Stadt Riga bei      
  Aufrechtha[l]tung des erwehnten Vertrags zu schützen.      
           
  Wenn man aber in Erwegung ziehet, daß die Abfurth auf der      
  Dwina die HauptVeranlaßung zu dem Vertrag gegeben hat und in      
  Ansehung des Handels auf diesen Fluß, dem Hertzog von Curland,      
  nachdem er sich des juris navigandi, importandi et exportandi merces      
  auf diesen Strohm begeben hat, verstattet wird 200 Last Korn zoll      
  frey einzuführen, so scheint schon die bestimmte Zahl mehr eine Einschränkung      
  zu seyn, daß nicht mehr Korn in die Stadt geführet werden      
  soll, und wiederspricht den vermeyntlichen Zwang daß alles nach Riga      
           
  gebracht werden müßte, welches fürnehmlich durch folgenden Satz dieses      
  Vertrags bestärkt wird, der von Wort zu Wort so lautet. "Vors dritte      
  "hat sich E. E. Hochweiser Rath samt Elterleüten und Gemeine,      
  "dahin erklähret: daß hinführo I. I. F. F. D. D. und dero Unterthanen      
  von Adel, so sich diese Handlung Submittiren, frey sein soll,      
  "ihr auf eigenem Grunde gewonnen Korn nach dieser Stadt zu      
  "führen und wofern sie es alsb[l]ald nicht verkauffen können bey den      
  "Bürgern aufzuschütten etc. Dieser passus des Vertrags läßt gar      
  keinen Zweiffel übrig, den Schluß zu machen, daß wann dem Curischen      
  Adel freygelaßen wird sein auf seinem Grunde gewonnen Korn nach      
  Riga zu führen, er daßselbe Korn, wann er es nicht nach Riga führen      
  will, auch nach andern Städten u. Häfen verführen kan.      
           
  Wann man nun die Geschichte, welche dem Vertrag vorgegangen,      
  und die vorerwehnte Sätze mit dem Satz vergleichet, wo man denen      
  Worten "in geregten ihren Häfen etc. eine wiedrige Deütung geben      
  will; so leüchtet es jedem raisonnirenden und vernünfftig urtheilenden      
  in die Augen, das die Worte: "in geregten ihren Häfen , auf diejenigen      
  Häfen zielen, welche einige von Adel sich unterstanden längst      
  dem Strande "über die Portus Windau und Liebau zu eröffnen      
  etc. nicht aber auf die Curischen Häfen Windau und Liebau,      
  als welche in eben diesem Satz von der Stadt Riga als gesetzmäßige      
  Häfen erkannt werden.      
           
  Wann nun aber auch dieser Vertrag noch so eine nachtheilige      
  Ausdeütung für Curland litte, so würde doch der Olivische Frieden      
  der 45 Iahre nachhero geschloßen worden die gantze Sache, entscheiden.      
  Man lese den 15ten Art: §. 1. commercia pristina sunt libera et      
  non impedita inter utrumque Regnum Pol: Svec: subjectas illis      
  Provincias etc . und in der Folge wird in eben diesem § auch sogar      
  der Handel auf der Dwina bestimmt verbis: Imprimis .      
           
  Inzwischen machte die communication dieser Ukase viel Aufsehen      
  und schien den Hertzog in einen embarras zu setzen, der natürlicher      
  Weise seine Herrn Ober=Räthe, Ministros status zu Rathe zog. Diese      
  Herrn mögen auch nicht viel vom Uberlegen und Nachdenken halten      
  und riethen dem Hertzog eine Erklährung dahin zu geben, daß er      
  zuförderst einen Landtag ausschreiben müßte um mit dem Adel über      
  die zu gebende Erklährung zu conferiren. Der Hertzog hatte das Vertrauen      
  gegen mich und verlangte meine Meynung. Ich gab sie schriftlich      
           
  und wiederrieth den Schritt eines Landtages, weil ich versichert wäre      
  das auf demselben, viel Lerm, viel Geschrey und vielleicht solche Verhandlungen      
  zu befürchten wären, die den Rußischen Hoff erbittern und      
  halsstarrig machen könten. Da aber der Hertzog und die Ober=Räthe      
  die Wächter der Gesetze und der Freyheit des Landes wären, so würde      
  der Rußische Hof gar nicht übel deüten können, wann der Hertzog eine      
  Erklährung gebe welche das Ansinnen der Stadt Riga wiederlegte.      
  Hätte eine solche Erklährung die gewünschte Wirkung nicht, so bliebe      
  dem Herzog dennoch frey alsdann zu erkennen zu geben, daß der      
  Gegenstand für den ganzen Adel von einer solchen Wichtigkeit sey, da      
  er ohne sich denen größten Vorwürffen auszusetzen und ohne Ubertretung      
  der ihm aufgetragenen Gewalt über seine Herzogthümer, ohne      
  Zuziehung deßselben nichts Förmliches abmachen könne. Der Hertzog      
  nahm meinen Vorschlag an. Ich setzte ein brouillon zu einer refutation      
  auf. Dieser wurde ausgearbeitet und dem Gouverneur zugeschickt und      
  wie ich annehme so nimt die Sache eine so gute Wendung, da      
  alles bey dem vorigen bleiben wird. In der That sehe ich auch nicht      
  ab wie der Rußische Hoff das Ansinnen der Stadt Riga hätte Souteniren      
  wollen, außer durch eine besondere Gewaltthätigkeit, daß sie garnisons      
  nach Liebau und Windau hätte verlegen müßen, die kein getreyde in      
  die Häfen gelaßen hätten. Wäre dieses nicht geschehen, so hätte sich      
  gewiß kein Edelmann an die vom Hertzog gegebene Befehle gekehret.      
  So liegt, liebster Freünd, die Sache der Ukase, die so viel Aufsehen      
  gemacht hat und die in der Ferne auf alle Getreyde und Victualien      
  extendiret worden, da sie doch nur das Sommerkorn zum Gegenstand      
  hatte. Ew: Hochedelgeb: werden wohl thun denenjenigen, die einen      
  Antheil an dieser Angelegenheit nehmen, den wahren Begriff von der      
  Sache mit zu theilen.      
           
  Was aber hauptsächlich zu dieser Ukase Anlaß gegeben haben      
  mag ist ein Umstand, den ich muthmaße, aber hier im Lande nicht      
  öffentlich bekannt machen will. Ein gewißer HE v Behr, ein naher      
  Verwandter von mir, der in der Windauischen Gegend große Güther      
  und besonders große Waldungen hat, ist auf die Speculation gekommen      
  selber Kauffmann zu seyn. Er hat sich eigene Schiffe gebauet und      
  immediate correspondenz in Engelland procuriret, wohin er einen      
  Menschen auf seine eigene Kosten geschicket hatte. Diese und auch      
  sogar Englische Schiffe, die an ihn adressirt waren liegen im Hafen      
           
  zu Windau ein. Die Windauische KauffMannschafft sahe solches mit      
  neidischen Augen an und suchten ihn solchen Handels zu erschwehren,      
  theils suchten sie ihm das bequeme Anlegen der Schiffe zu verhindern      
  theils suchten sie auch die im Hafen bestimmte Leüte zum Einladen      
  und ausladen abzuhalten und zu vertheüren. Um diese Inconveniences      
  zu vermeiden bat er sich vom Hertzog einen Orth am See Strande,      
  auf fürstl. Grund und Boden, aus, wo seine und die an ihm spedirten      
  Schiffe sicher einlauffen konten. Der Hertzog gestand ihm solches zu.      
  Nun glaube ich, daß die Windauische Kaufleüte sich hinter die Rigischen      
  gesteckt haben um den Vertrag d. ao 1615 aufzunehmen, wo der von      
  mir auf der 8 ten Seite angeführte passus stehet "daß außer denen      
  Häfen Liebau und Windau keine andere gestattet werden mögten.      
  Sollte das Ansinnen der Stadt Riga nun am Ende dieses zum Gegenstande      
  habe, so habe ich dem Hertzog gerathen, dem HEn v. Behr      
  die gegebene concession zurückzunehmen und wegen eines individui      
  nicht das gantze Land zu compromittiren.      
           
  Nun ist es Zeit, daß ich einmahl dem Geschmiere ein Ende mache.      
  Wann ich nicht Ihre Nachsicht kennte, so würde mein Brief kürtzer seyn.      
           
  Meine Frau versichert ihre aufrichtigste Freundschafft u. Ergebenheit.      
  Die Antwort an den HEn Prof. Mangelsdorff folget      
  hiebey. Ich bitte mir die Fortdauer dero mir so schätzbahren Freundschafft      
  aus bin mit der vorzüglichsten Hochachtung      
           
    Ew. Hochedelgeb.      
    ganz gehorsamster Diener      
  Großblieden d. 29 Dec 1782.        
    H. Graf v. Keyserling.      
           
           
           
     

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