Kant: Briefwechsel, Brief 11, Von Iohann Georg Hamann |
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Von Iohann Georg Hamann | |||||||
d. 27. Juli 1759. | |||||||
HöchstzuEhrender Herr Magister, | |||||||
Ich lege es Ihnen nicht zur Last, daß Sie mein Nebenbuler | |||||||
sind, und Ihren neuen Freund ganze Wochen genüßen, unterdeßen er | |||||||
sich nur bey mir auf wenige zerstreute Stunden wie ein LuftErscheinung | |||||||
oder vielmehr wie ein schlauer Kundschafter sich sehen läßt. | |||||||
Ihrem Freunde aber werde ich diese Beleidigung nachtragen, daß er | |||||||
sich unterstanden Sie in meine Einsiedlerey Selbst einzuführen; und | |||||||
daß er mich nicht nur der Versuchung, Ihnen meine Empfindlichkeit, | |||||||
Rache und Eyfersucht merken zu laßen, sondern Sie sogar dieser | |||||||
Gefahr ausgesetzt, einem Menschen so nahe zu kommen, dem die | |||||||
Krankheit seiner Leidenschaften eine Stärke zu denken und zu empfinden | |||||||
giebt, die ein Gesunder nicht besitzt. - Dies wollte ich Ihrem | |||||||
Buler ins Ohr sagen, als ich Ihnen für die Ehre Ihres ersten | |||||||
Besuchs dankte. | |||||||
Sind Sie Socrates und will Ihr Freund Alcibiades seyn: so | |||||||
haben Sie zu Ihrem Unterricht die Stimme eines Genii nöthig. Und | |||||||
diese Rolle gebührt mir, ohne daß ich mir den Verdacht des Stoltzes | |||||||
dadurch zuziehe - Ein Schauspieler legt seine Königliche Maske, seinen Gang | |||||||
und seine Sprache auf Steltzen ab; so bald er den Schauplatz verläst | |||||||
- Erlauben Sie mir also, daß ich so lange Genius heißen und | |||||||
als ein Genius aus einer Wolke mit Ihnen reden kann, als ich Zeit | |||||||
zu diesem Briefe nöthig haben werde. Soll ich als ein Genius aber | |||||||
reden, so bitte ich mir wenigstens die Gedult und die Aufmerksamkeit | |||||||
aus, womit ein Erlauchtes, Schönes, Witziges und Gelehrtes Publicum | |||||||
jüngst die Abschiedsrede eines Irrdischen über die Scherben einer alten | |||||||
Urne, auf der man mit Mühe die Buchstaben BIBLIOTEK entziffern | |||||||
konnte, überhorchte. Es war ein Project schöne Leiber denken zu | |||||||
lehren. Das kann nur ein Socrates, und kein Herzog, keine Landstände | |||||||
werden durch die Kraft Ihres obrigkeitl. Berufs und Vollmacht | |||||||
ihrer Wahl einen Watson zum genie creiren. | |||||||
Ich schreibe episch, weil Sie die lyrische Sprache noch nicht lesen | |||||||
können. Ein epischer Autor ist ein Geschichtschreiber der seltenen | |||||||
Geschöpfe und ihres noch seltenern Lebenslaufes; der lyrische ist der | |||||||
Geschichtschreiber des Menschl. Herzens. Die Selbsterkenntnis ist die | |||||||
schwerste und höchste, die leichteste und ecke[l]hafteste NaturGeschichte, | |||||||
Philosophie und Poesie. Es ist angenehm und nützlich eine Seite des | |||||||
Pope zu übersetzen - in die Fibern des Gehirnes und des Herzens | |||||||
Eitelkeit und Fluch hingegen einen Theil der Encyclopedie durchzublättern. | |||||||
Ich bin noch gestern Abend mit der Arbeit fertig geworden, | |||||||
die Sie mir in Vorschlag gebracht. Der Artikel über d. Schöne ist | |||||||
ein Geschwätz und Auszug von Hutchinson. Der von der Kunst ist | |||||||
seichter also süßer als das Gespräch des Engl. über nichts als ein | |||||||
Wort. Bliebe also noch ein einziger übrig, der würklich eine Uebersetzung | |||||||
verdiente. Er handelt von dem Schaarwerk und Gehorcharbeitern. | |||||||
Ieder verständige Leser meines Heldenbriefes wird die Mühe derjenigen | |||||||
aus der Erfahrung kenen, über solche Leute gesetzt zu seyn, aber auch | |||||||
das Mitleiden mit allen Gehorcharbeitern haben, was der Verfaßer | |||||||
meines Artikels mit ihnen hat, und die Misbräuche zu verbeßern | |||||||
suchen, wodurch es ihnen unmöglich gemacht wird gute Gehorcharbeiter | |||||||
zu seyn. Weil ich aber selbst keiner zu werden Lust habe, und kein | |||||||
Amt von der Art auf der Welt verwalte, wo ich von der Laune dererjenigen, | |||||||
die unter mir sind, abhangen darf: so wird dieser Artikel | |||||||
Uebersetzer genung antreffen, die einen Beruf dazu haben. Ein Mann | |||||||
von der Welt, der die Kunst Visiten zu machen versteht, wird immer | |||||||
einen guten Intendant über entreprisen abgeben. | |||||||
Auf unsern lieben Vetter wieder zu kommen. Aus Neigung könen | |||||||
Sie diesen alten Mann nicht lieben; aus Eitelkeit oder Eigennutz. Sie | |||||||
hätten ihn kennen sollen zu meiner Zeit, da ich ihn liebte. Damals | |||||||
dachte er wie Sie, HöchstzuEhrender Herr Magister, über das Recht | |||||||
der Natur, er kannte nichts als großmütige Neigungen in Sich Selbst | |||||||
und Mir. | |||||||
Sie treffen es, diese schielende Verachtung ist noch ein Rest von | |||||||
Liebe gegen Ihn. Laßen Sie sich warnen und mich der Sappho nachgirren | |||||||
At Vos erronem tellure remittite nostrum | |||||||
Nisiades matres, Nisiaedesque nurus . | |||||||
Neu vos decipiant blandae mendacia linguae | |||||||
Quae dicit Vobis, dixerat ante mihi . | |||||||
Ich glaube, Ihr Umgang ist noch unschuldig, und Sie vertreiben | |||||||
sich bloß die langen Sommer und August Abende. Können Sie mir nicht | |||||||
die Verwirrung und die Schaam eines Mädchen ansehen, das ihre | |||||||
Ehre ihrem Freunde aufgeopfert, und der mit meinen Schwachheiten | |||||||
und Blößen, aus denen ich ihm unter vier Augen kein Geheimnis | |||||||
gemacht, seine Gesellschaften von gutem Tone unterhält. | |||||||
Frankreich, das Hofleben und sein jetziger Umgang mit lauter | |||||||
Calvinisten sind an allem Unglücke schuld. Er liebt das Menschliche | |||||||
Geschlecht wie der Franzmann das Frauenzimmer, zu seinem bloßen | |||||||
Selbstgenuß und auf Rechnung Ihrer Tugend und Ehre. In der | |||||||
Freundschaft, wie in der Liebe, verwirft er alle Geheimniße. Das heist den | |||||||
Gott der Freundschaft gar leugnen; und wenn der Ovid, sein Leibdichter, | |||||||
ad amicam corruptam schreibt, ist er noch zärtlich genung, ihr die | |||||||
Vertraulichkeit eines Dritten vorzurücken über Ihre LiebesHändel. | |||||||
Haec tibi sunt mecum, mihi sunt communia tecum | |||||||
In bona cur quisquam tertius ista venit . | |||||||
Daß er anders denkt als er redet, anders schreibt als er redt, werde | |||||||
ich bey Gelegenheit eines Spatzierganges Ihnen einmal näher entdecken | |||||||
können. Gestern sollte alles öffentlich seyn, und in seinem letzten | |||||||
Billet doux schrieb er mir: "Ich bitte mir aus, daß Sie von alle | |||||||
"dem, was ich Ihnen als ein redlicher Freund schreibe, nicht den gering"sten | |||||||
Misbrauch zu unserm Gelächter machen - Unsere Haus Sachen | |||||||
"gehen Sie gar nichts mehr an - wir leben hier ruhig, vergnügt, | |||||||
"menschlich und christlich. Ich habe mich an diese Bedingung so ängstlich | |||||||
gehalten, daß ich mir über unschuldige Worte die mir entfahren | |||||||
und die keiner verstehen konte, ein Gewißen gemacht. Ietzt soll alles | |||||||
öffentlich seyn. Ich halte mich aber an Seine Handschrift. | |||||||
Es wird zu keiner Erklärung unter uns kommen. Es schickt sich | |||||||
nicht für mich, daß ich mich rechtfertige. Weil ich mich nicht rechtfertigen | |||||||
kann, ohne meine Richter zu verdammen, und dies sind die liebsten | |||||||
Freunde, die ich auf der Welt habe. | |||||||
Wenn ich mich rechtfertigen sollte; so müste ich beweisen, | |||||||
1. daß mein Freund eine falsche Erkenntnis Seiner Selbst hat, | |||||||
2. eben so falsch einen jeden seiner Nächsten beurtheilt, | |||||||
3. eine falsche von mir gehabt und noch hat | |||||||
4. die Sache unter uns, im Gantzen und ihrem Zusammenhange, | |||||||
gantz unrichtig und einseitig beurtheilt. | |||||||
5. Von demjenigen weder Begrif noch Empfindung hat, was ich | |||||||
und Er bisher gethan und noch thun. | |||||||
Daß ich ihn in dem übersehen kann, was ich weiß und nicht weiß, da | |||||||
er gethan und noch thut, weil ich alle die Grundsätze und Triebfedern | |||||||
kenne, nach denen er handelt, da er nach seinem eigenen Geständnis, | |||||||
aus meinen Worten und Handlungen nicht klug werden kann. Dies | |||||||
muß Ihnen als eine Prahlerey vorkommen, und geht gleichwol nach | |||||||
dem Lauf der Dinge ganz natürlich zu. Ich bin noch zu bescheiden, | |||||||
und kann ganz sicher gegen einen staarichten mit meinen triefenden | |||||||
rothen Augen prahlen. | |||||||
Gegen die Arbeit und Mühe, die ich mir gemacht, würde es also | |||||||
eine Kleinigkeit seyn, mich loßgesprochen zu sehen. Aber unschuldig | |||||||
zum Giftbecher verdammt zu werden! so denken alle Xantippen, alle | |||||||
Sophisten - Socrates umgekehrt; weil ihm mehr um sein Gewißen | |||||||
der Unschuld, als den Preiß derselben, die Erhaltung seines Lebens, | |||||||
zu thun war. | |||||||
An einer solchen Apologie mag ich also nicht denken. Der Gott, | |||||||
den ich diene, und den Spötter für Wolken, für Nebel, für vapeurs | |||||||
und Hypochondrie ansehen wird nicht mit Bocks= und Kälberblut versöhnt; | |||||||
sonst wollte ich bald mit dem Beweis fertig werden, daß die | |||||||
Vernunft und der Witz Ihres Freundes wie meine, ein geil Kalb | |||||||
und sein gutes Herz mit seinen edlen Absichten ein Widder mit | |||||||
Hörnern ist. | |||||||
Was Ihr Freund nicht glaubt, geht mich so wenig an, als ihn, | |||||||
was ich glaube. Hierüber sind wir also geschiedene Leute, und die Rede | |||||||
bleibt bloß von Geschäften. Eine ganze Welt von schönen und tiefsinnigen | |||||||
Geistern, wenn sie lauter Morgensterne und Lucifers wären, kan | |||||||
hierüber weder Richter noch Kenner seyn, und ist nicht das Publicum | |||||||
eines lyrischen Dichters, der über den Beyfall seiner Epopee lächelt, | |||||||
und zu ihrem Tadel still schweigt. | |||||||
Peter der Große war vom Olymp eingeweyht, die schöne Natur | |||||||
anderer Nationen in einigen Kleinigkeiten an seinem Volk nachzuahmen. | |||||||
Wird man aber durch ein geschoren Kinn jünger? Ein bloß sinnlich | |||||||
Urtheil ist keine Wahrheit. | |||||||
Der Unterthan eines despotischen Staats, sagt Montesquieu, muß | |||||||
nicht wißen was gut und böse ist. Fürchten soll er sich, als wenn | |||||||
sein Fürst ein Gott wäre, der Leib und Seele stürzen könnte in die | |||||||
Hölle. Hat er Einsichten, so ist er ein unglückl. Unterthan für seinen | |||||||
Staat; hat er Tugend, so ist er ein Thor sich selbige merken zu laßen. | |||||||
Ein Patricius einer griechischen Republick durfte in keiner Verbindung | |||||||
mit dem Persischen Hofe stehen, wenn er nicht als ein Verräther | |||||||
seines Vaterlandes verwiesen werden sollte. | |||||||
Schicken sich denn die Gesetze der Ueberwundenen für die Eroberer? | |||||||
Der Unterthan ist durch selbige unterdrückt worden? Gönnst du ein | |||||||
gleiches Schicksal deinen Mitbürgern? | |||||||
Abraham ist unser Vater - - Wir arbeiten nach Peters Entwurf? | |||||||
wie der Magistrat eines kleinen Freystaats in Italien Commercium | |||||||
und Publicum lallen gelernt hat - Thut eures Vaters Werke, | |||||||
versteht das was ihr redet, wendet eure Erkenntnis recht an und | |||||||
setzt eure Ach! am rechten Ort. Durch Wahrheiten thut man mehr | |||||||
Schaden als durch Irrthümern, wenn wir einen wiedersinnigen Gebrauch von | |||||||
den ersten machen, und die letzten durch routine oder Glück zu modificiren | |||||||
wißen. Wie mancher Orthodox zum Teufel fahren kan, trotz | |||||||
der Wahrheit, und mancher Ketzer in den Himmel kommt, trotz dem Bann | |||||||
der herrschenden Kirche oder des Publici. | |||||||
In wie weit der Mensch in die Ordnung der Welt würken kann, | |||||||
ist eine Aufgabe für Sie; an die man sich aber nicht eher wagen | |||||||
muß, biß man versteht, wie unsere Seele in das System der kleinen | |||||||
Welt würket. Ob nicht harmonia praestabilita wenigstens ein glücklicher | |||||||
Zeichen dieses Wunders ist, als influxus physicus den Begrif | |||||||
davon ausdrückt, mögen Sie entscheiden. Unterdeßen ist es mir lieb, | |||||||
daß ich daraus abnehmen kann, daß die Calvinische Kirche unsern | |||||||
Freund so wenig zu ihrem Anhänger zu machen im stande ist, als die | |||||||
lutherische | |||||||
Diese Einfälle sind nichts als Äpfel, die ich wie Galathe werfe | |||||||
um ihren Liebhaber zu necken. Um Wahrheit ist mir so wenig als | |||||||
Ihrem Freunde zu thun; ich glaube wie Socrates alles, was der | |||||||
andere glaubt - und geh nun darauf aus, andere in ihrem Glauben | |||||||
zu stöhren. Dies muste der weise Mann thun, weil er mit Sophisten | |||||||
umgeben war, und Priestern, deren gesunde Vernunft und gute | |||||||
Werke in der Einbildung bestanden. Es giebt eingebildte gesunde | |||||||
und ehrliche Leute, wie es malades imaginaires giebt. | |||||||
Wenn Sie aus den Recensionen des Herrn B. und meinem | |||||||
Schreiben mich beurtheilen wollen: so ist dies ein so unphilosophisch | |||||||
Urtheil als Luther aus einer Brochure an den Herzog von Wolfenbüttel | |||||||
von Kopf zu Fuß übersehen wollen. | |||||||
Der eines andern Vernunft mehr glaubt als seiner eigenen; | |||||||
hört auf ein Mensch zu seyn und hat den ersten Rang unter d. seruum | |||||||
pecus der Nachahmer. Auch das gröste menschliche genie sollte | |||||||
uns zu schlecht dazu seyn. Natur, sagt Batteux, man muß kein | |||||||
Spinosist in schönen Künsten noch Staats Sachen seyn. | |||||||
Spinoza führte einen unschuldigen Wandel, im Nachdenken zu | |||||||
furchtsam; wenn er weiter gegangen wäre, so hätte er die Wahrheit | |||||||
beßer eingekleidet. Er war unbehutsam in seinen Zeitverkürzungen, | |||||||
und hielt sich zu viel bey Spinneweben auf; dieser Geschmack verräth | |||||||
sich in seiner Denkungsart, die nur klein Ungeziefer verwickeln kann. | |||||||
Was sind die Archive aller Könige - und aller Iahrhunderte | |||||||
- Wenn einige Zeilen aus diesem großen Fragment, einige Sonnenstäubchen | |||||||
von diesem Chaos im stande sind uns Erkentnis und Macht | |||||||
zu geben. Wie glücklich ist der, welcher das Archiv desjenigen, der | |||||||
die Herzen aller Könige wie Waßerbäche leiten kann, täglich besuchen | |||||||
kan, den seine wunderbare Haushaltung, die Gesetze seines Reichs etc. | |||||||
nicht umsonst einzuschauen gelüstet. Ein pragmatischer Schriftsteller | |||||||
sagt davon: Die Rechte des Herrn sind köstlicher denn Gold, und vielfein=Gold, | |||||||
süßer denn Honig und des Honigseims tröpfelnde Faden. | |||||||
- Das Gesetz deines Mundes sind mir lieber denn viel 1000 Stück | |||||||
Gold und Silber. - Ich bin gelehrter, denn alle meine Lehrer, denn | |||||||
deine Zeugniße sind meine Rede - Ich bin klüger denn die Alten, denn | |||||||
ich halte - Du machst mich mit deinem Gebot weiser denn meine Feinde | |||||||
sind ; denn es ist ewiglich mein Schatz. | |||||||
Was meynen Sie von diesem System? Ich will meine Nächsten | |||||||
um mich glücklich machen. Ein reicher Kaufmann ist glücklich. Da | |||||||
Sie reich werden können, dazu gehören Einsichten und moralische | |||||||
Tugenden. | |||||||
In meinem mimischen Styl herrscht eine strengere Logic und eine | |||||||
geleimtere Verbindung als in den Begriffen lebhafter Köpfe. Ihre | |||||||
Ideen sind wie die spielende Farben eines gewäßerten SeidenZeuges, | |||||||
sagt Pope. | |||||||
Diesen Augenblick bin ich ein Leviathan, der Monarch oder der | |||||||
erste Staatsminister des Oceans, von deßen Othem Ebbe und Fluth | |||||||
abhängt. Den nächsten Augenblick sehe ich mich als einen Wallfisch | |||||||
an, den Gott geschaffen hat, wie der gröste Dichter sagt, in dem | |||||||
Meere zu scherzen. | |||||||
Ich muß beynahe über die Wahl eines Philosophen zu dem | |||||||
Endzweck eine Sinnesänderung in mir hervor zu bringen, lachen. Ich | |||||||
sehe die beste Demonstration, wie ein vernünftig Mädchen einen Liebesbrief, | |||||||
und eine Baumgartsche Erklärung wie eine witzige Fleurette an. | |||||||
Man hat mir gräuliche Lügen aufgebürdet, HöchstzuEhrender Herr | |||||||
Magister. Weil Sie viele Reisebeschreibungen gelesen habn, so wei | |||||||
ich nicht, ob Sie dadurch leichtgläubig oder ungläubig geworden sind. | |||||||
Die Urheber derselben vergebn ist, weil sie es unwißend thun und wie | |||||||
ein comischer Held Prose reden ohne es zu wißen. Lügen ist die | |||||||
Muttersprache unserer Vernunft und Witzes. | |||||||
Man muß nicht glauben, was man sieht - geschweige was man | |||||||
hört. - Wenn zwey Menschen in einer verschiedenen Lage sich befinden, | |||||||
müßen Sie niemals über ihre sinnliche Eindrücke streiten. Ein Wächter | |||||||
auf einer Sternenwarte kann einem in dritten Stockwerk viel erzählen. | |||||||
Dieser muß nicht so tum seyn und ihm seine gesunden Augen absprechen, | |||||||
komm herunter: so wirst Du überzeugt seyn, daß Du nichts gesehen hast. | |||||||
Ein Mann in einer tiefen Grube, worinn kein Waßer ist, kann am hellen | |||||||
Mittag Sterne sehen. Der andere auf der Oberfläche leugnet die Sterne | |||||||
nicht - er kann eben nichts als den Herrn des Tages sehen. Weil | |||||||
der Mond der Erde näher ist, als der Sonne: so erzählen Sie Ihrem | |||||||
Monde Mährchen von der Ehre Gottes. Es ist Gottes Ehre, eine | |||||||
Sache verbergen: aber der Könige Ehre ist eine Sache erforschen. | |||||||
Wie man den Baum an den Früchten erkennt: so weiß ich da | |||||||
ich ein Prophet bin aus dem Schicksal, das ich mit allen Zeugen | |||||||
theile, gelästert verfolgt und verachtet zu werden. | |||||||
Ich will auf einmal, Mein Herr Magister! Ihnen die Hofnung | |||||||
benehmen sich über gewiße Dinge mit mir einzulaßen, die ich beßer | |||||||
beurtheilen kann wie Sie, weil ich mehr data darüber weiß, mich auf | |||||||
facta gründe, und meine Autoren nicht aus Journalen sondern aus | |||||||
mühsamer und täglicher Hin und Herwälzung derselben kenne; nicht Auszüge | |||||||
sondern die Acten selbst gelesen habe, worinn des Königs Interesse | |||||||
sowohl als des Landes debattirt wird. | |||||||
Iedes Thier hat im denken und schreiben seinen Gang. Der | |||||||
eine geht in Sätzen und Bogen wie eine Heuschrecke; der andere in | |||||||
einer zusammenhängenden Verbindung wie eine Blindschleiche im Fahrgleise, | |||||||
der Sicherheit wegen, die sein Bau nöthig haben soll. der | |||||||
eine gerade, der andere krumm. Nach Hogarts System ist die Schlangenlinie | |||||||
das Element aller malerischen Schönheiten; wie ich es aus der | |||||||
Vignette des Titelblattes gelesen habe. | |||||||
Der attische Philosoph, Hume, hat den Glauben nöthig, wenn | |||||||
er ein Ey eßen und ein Glas Waßer trinken soll. Er sagt: Moses, | |||||||
das Gesetz der Vernunft, auf das sich der Philosoph beruft, verdammt | |||||||
ihn. Die Vernunft ist euch nicht dazu gegeben, dadurch weise zu | |||||||
werden, sondern eure Thorheit und Unwißenheit zu erkennen; wie das | |||||||
Mosaische Gesetz der Iuden nicht sie gerecht zu machen, sondern ihnen | |||||||
ihre Sünden sündlicher. Wenn er den Glauben zum Eßen und | |||||||
trinken nöthig hat: wozu verleugnet er sein eigen Principium, wenn | |||||||
er über höhere Dinge, als das sinnliche Eßen und trinken urtheilt. | |||||||
Durch die Gewohnheit etwas zu erklären - Die Gewohnheit | |||||||
ist ein zusammengesetzt Ding, das aus Monaden besteht. Die Gewohnheit | |||||||
heist die andere Natur und ist in ihren Phaenomenis eben so räthselhaft | |||||||
als die Natur selbst, die sie nachahmt. | |||||||
Wenn Hume nur aufrichtig wäre, sich selbst gleichförmig - Allen | |||||||
seinen Fehler ungeachtet ist er wie Saul unter den Propheten. Ich | |||||||
will ihnen eine Stelle abschreiben, die ihnen beweisen soll, daß man | |||||||
im Schertz und ohn sein Wißen und Willen die Wahrheit predigen | |||||||
kann, wenn man auch der gröste Zweifler wäre und wie die Schlange | |||||||
über das zweifeln wollte, was Gott sagt. Hier ist sie: "Die christl. | |||||||
"Religion ist nicht nur mit Wunderwerken am Anfange begleitet gewesen, | |||||||
"sondern sie kann auch selbst heut zu Tage von keiner vernünftigen | |||||||
"Person ohne ein Wunderwerk geglaubt werden. Die bloße Vernunft | |||||||
ist nicht zureichend uns von der Wahrheit derselben zu überzeugen, | |||||||
und wer immer durch den Glauben bewogen wird derselben | |||||||
"Beyfall zu geben, der ist sich in seiner eigenen Person eines beständig | |||||||
"fortgesetzten ununterbrochnen Wunderwerkes bewust, welche alle | |||||||
"Grundsätze seines Verstandes umkehrt und demselben eine Bestimmung | |||||||
"giebt das zu glauben, was der Gewohnheit und Erfahrung am | |||||||
"meisten zuwieder und entgegen ist. | |||||||
Bitten Sie Ihren Freund, daß es sich für Ihn am wenigsten | |||||||
schickt über die Brille meiner ästhetischen Einbildungskraft zu lachen, | |||||||
weil ich mit selbiger die blöden Augen meiner Vernunft wafnen muß. | |||||||
Ein zärtlicher Liebhaber läßt sich bey dem Bruche einer Intrigue | |||||||
niemals seine Unkosten gereuen. Wenn also vielleicht nach dem neuen | |||||||
NaturRecht alter Leute die Rede vom Gelde wäre: so sagen Sie ihm, | |||||||
daß ich jetzt nichts habe, und selbst von meines Vaters Gnade leben | |||||||
muß; daß ihm aber alles als eigen gehört, was mir Gott geben will | |||||||
- wornach ich aber nicht trachte, weil ich sonst den Seegen des vierten | |||||||
Gebots darüber verlieren könnte. Wenn ich sterben sollte: so will ich ihm | |||||||
obeninn meinen Leichnam vermachen, an dem er sich wie Egyptier | |||||||
pfänden kann, wie in dem angenehmen Happelio Griechenlandes, dem | |||||||
Herodot, geschrieben stehen soll. | |||||||
Das leirische der lyrischen Dichtkunst ist das Tireli der Lerche. | |||||||
Wenn ich wie eine Nachtigall schlagen könnte; so muß sie wenigstens | |||||||
an den Vögeln Kunstrichter haben, die immer singen, und mit ihrem | |||||||
unaufhörlichen Fleiß prahlen. | |||||||
Sie wißen, HochzuEhrender Herr Magister, daß die Genii Flügel | |||||||
haben und daß das Rauschen derselben dem Klatschen der Menge | |||||||
gleich kommt. | |||||||
Wenn sich über Gott mit Anmuth und Stärke spotten läßet; warum | |||||||
soll man mit Götzen nicht sein Kurzweil treiben können. Mutter | |||||||
Lyse singt: | |||||||
Die falschen Götzen macht zu spott | |||||||
Ein Philosoph sieht aber auf die Dichter, Liebhaber und Projecktmacher, | |||||||
wie ein Mensch auf einen Affen, mit Lust und Mitleiden. | |||||||
Sobald sich die Menschen verstehen einander können Sie arbeiten. | |||||||
Der die Sprachen verwirrte - und die Schemata des Stoltzes aus | |||||||
Liebe und politischen Absichten, zum besten der Bevölkerung, wie ein | |||||||
Menschenfreund strafte - vereinigte sie an dem Tage, da man Menschen | |||||||
mit feurigen Zungen als Köpfe berauscht vom süßen Wein lästerte. | |||||||
Die Wahrheit wollte sich von Straßenräubern nicht zu nahe kommen | |||||||
laßen, sie trug Kleid auf Kleid, daß man zweifelte ihren Leib zu finden. | |||||||
Wie erschracken, da sie ihren Willen hatten und d[as] schreckl[iche] | |||||||
Gespenst, die Wahrheit, vor sich sahen. | |||||||
Ich werde diesen Brief ehster Tags in Person abholen kommen. | |||||||
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