Kant: Briefwechsel, Brief 103, Von Iohann Georg Hamann. |
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Von Iohann Georg Hamann. | |||||||
18. Iuli 1775. | |||||||
P. P. | |||||||
Da Ew. Wolgebornen vielleicht der erste gewesen, der die | |||||||
Lavaterschen Fragmente durchgeblättert, und vielleicht der einzige | |||||||
sind, der solche im Lichte der reinen Vernunft zu durchschauen im | |||||||
stande ist: so würde ich nicht ermangelt haben beyliegenden A-Stich, | |||||||
der mir von Dero Herrn Wirthe als eine der glücklichsten Proben der | |||||||
Lavaterschen Kunst in Auflösung physiognostischer Probleme vorigen | |||||||
Sonntag entre chien et loup eingehändigt worden Ihnen vorzulegen. | |||||||
Ohngeachtet ich wider meine Diaet die ganze Nacht schlaflos und mit | |||||||
Briefschreiben zugebracht hatte, so erschien ich doch gestern Morgens | |||||||
einer mit Ihrem HE. Wirth genommenen Abrede zu Folge in seinem | |||||||
Buchladen, ohne ihn zu Hause anzutreffen. Meine Schläfrigkeit und der | |||||||
dadurch mir schwerer gewordene Posttag erlaubten mir [nicht] das Bureau | |||||||
zu verlaßen und das Gesuch Ihres Bedienten zu befriedigen. Gestern | |||||||
Abend aber that ich den mühseeligen Spatziergang nach Ew. Wohlgebornen | |||||||
Garten auch umsonst. | |||||||
Diese Nacht hab ich meiner trägen Natur den kleinen Rückstand | |||||||
ihres Tributs ehrlich abgetragen und Gott Lob! wacker aus und übergeschlafen. | |||||||
Meine erste Arbeit ist Ew. Wohlgebornen Neugierde in | |||||||
Ansehung des Pseudo-Lavaterschen A- Stiches zu beantworten, | |||||||
wiewohl selbige kaum selbst eigentl. dabey interessirt seyn kann, weil | |||||||
Ihr Herr Wirth mich mit seinem ihm leider so geläufigen und zu seiner | |||||||
Zeit nicht ungehört bleibenden: Straff mich Gott! versichert, daß Dieselben | |||||||
vorzüglich[, der] über die frappante Gleichförmigkeit des physiognostischen | |||||||
A-Stiches mit dem Original wenigstens sein Erstaunen bezeugt haben soll. | |||||||
Da ich aus meinen natürlichen Ohren vor dem Publico kein | |||||||
Geheimnis machen kann, weil mir schon leider! seit Iahr und Tag | |||||||
3 rth zu einer neuen Perücke fehlen: so möchte ich es doch nicht gern | |||||||
auf eine Probe aussetzen, aus Ihres Herrn Wirths Lucullischen) Leipziger | |||||||
Apparatu meine Organa sapientiae und Ihre Blöße wie (zum | |||||||
Exempel) mein Freund Lauson zu bedecken. | |||||||
Was mein geistliches oder symbolisches Ohr betrifft: so kann ich | |||||||
es freylich ohne Undank gegen die gütige und freygebige Natur nicht | |||||||
verbergen, daß ich in der Gabe zu hören alle meine Freunde und | |||||||
Vertraute ziemlich übertreffe und daher würklich das unsichtbare organon | |||||||
dieses Sinns um einige Zoll länger und ein gut Theil spitziger | |||||||
vermuthe, als es von dem St. Lips. nachgezeichnet und nachgestochen | |||||||
worden - und daß ich für die ewige Leyer der reinen Vernunft und | |||||||
des schönen und erhabenen Geschmacks ein noch gröberer Asinus seyn | |||||||
werde als es dem symbolischen A-Stich bis dato anzusehen ist. | |||||||
Im Grunde ist aber der gantze freundschaftliche Hiroglyphe meiner | |||||||
erkünstelte[n] und mehr affectierte[n] wie meiner unsichtbaren Natur | |||||||
angemessene[n] Grobheit oder Freyheit ein Schusterjungen Einfall, | |||||||
den die Anmerkung des weisen Horatz bestätigt: | |||||||
Naturam expellas furca; tamen usque recurret | |||||||
Et male perrumpet furtim fastidia victrix . | |||||||
Lib. I. Ep. X. v. 24. 25. | |||||||
Wer mit einer so faulen und concreten Methode mich abzuschrecken | |||||||
zu widerlegen u. sich zu decken meynt, wird sich in fine betrogen | |||||||
finden. Weil ich aber mit Pfriemen nicht umzugehen weiß: so soll | |||||||
mein gemiethet ScheerMesser noch manchen unversehrten Wangenbart | |||||||
in die Glutheiligen Gesänge versetzen. | |||||||
Des berühmten Cicisbeo freche Lügen, anatomische Mordgräuel, | |||||||
Auswüchse am Ende der meinigen, reiche Werke des guten Geruchs | |||||||
sollen in einer Kupferplate erscheinen, deren Ausgabe ich meinen neuerworbenen | |||||||
Freunden Zimmermann und Lavater zu überlassen denke. | |||||||
Dieser Nationalzug der philosophischen und moralischen Canaille | |||||||
verklärt mir vollends mein Vaterland und gereicht fast zur absolution | |||||||
meines Vetter Nabal zu Böhmisch Broda und seiner siechen Consorten | |||||||
und Nachbarn. Mein Vetter Nabal soll für die Ehre, die er dem | |||||||
Cicisbeo meiner Landsleute und ihrer schönen und braven Geister | |||||||
während seiner dortigen Staats Geschäfte erwiesen, einen Gotteslohn | |||||||
empfangen und ich werde getrost fortfahren ein Antipod der weltberühmten | |||||||
preuß. National Falschheit und National Höflichkeit zu leben | |||||||
und obendrein mir den Ruhm zuzueignen suchen dies Bonam Naturam | |||||||
aus andern, vielleicht beßeren Grundsätzen, zu anderm, vielleicht | |||||||
besserem Behuf anzuwenden - so wahr mir Gott helfe! Amen. | |||||||
Ich eile nunmehr mit eiskaltem Blute zur Fortsetzung eines Versuchs, | |||||||
den ich am weiland grünen Donnerstage angefangen und seit | |||||||
dem fast aufgegeben hatte, wenn beyl. Eselsohr mir nicht zur Brücke würde | |||||||
meinen Weg gemächlicher zu verkürzen - So wahr ist es daß alles | |||||||
was aus Liebe kommt, zu unserm Besten dienen muß. | |||||||
Einlage bitte mir noch heute zurück, weil ich gestern keinen einzigen | |||||||
meiner Freunde habe auffinden können, die hoffentlich der Verwandlung | |||||||
meines rechten [Ohres] sich nicht schämen werden, da sie | |||||||
sich bey Philosophen ad modum Apulejus sich weiter erstreckt als | |||||||
auf ein recht Ohr. | |||||||
Allen den Ihrigen steht der psysiognostische A-stich ehstens nach | |||||||
HerzensLust und selbstbeliebiger Weile zu Dienste und Geboth. | |||||||
Uebrigens habe die Ehre mit unveränderter Gesinnung zu verharren | |||||||
Ew. Wolgeboren | |||||||
Meines HochstzuEhrenden HE. Professor | |||||||
Am alten Graben | ergebenster Freund und Diener | ||||||
den 18 Julii 1775. | Iohann Georg Hamann. | ||||||
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