Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 310 |
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01 | Mühe, die sie sich von jeher gegeben hat, diesen auf dem Wege | ||||||
02 | der Speculation und der theoretischen Erkenntniß zu erreichen, und so | ||||||
03 | wurde jene Wissenschaft das durchlöcherte Faß der Danaiden. Allererst | ||||||
04 | nachdem die moralischen Gesetze das Übersinnliche im Menschen, die | ||||||
05 | Freyheit, deren Möglichkeit keine Vernunft erklären, ihre Realit aber | ||||||
06 | in jenen praktisch-dogmatischen Lehren beweisen kann, entschleyert haben: | ||||||
07 | so hat die Vernunft gerechten Anspruch auf Erkenntniß des Übersinnlichen, | ||||||
08 | aber nur mit Einschränkung auf den Gebrauch in der letztern Rücksicht | ||||||
09 | gemacht, da sich dann eine gewisse Organisation der reinen praktischen | ||||||
10 | Vernunft zeigt, wo erstlich das Subject der allgemeinen Gesetzgebung, | ||||||
11 | als Welturheber, zweytens das Object des Willens der Weltwesen, als | ||||||
12 | ihres jenem gemäßen Endzweckes, drittens der Zustand der letztern, in | ||||||
13 | welchem sie allein der Erreichung desselben fähig sind, in praktischer Absicht | ||||||
14 | selbstgemachte Ideen sind, welche aber ja nicht in theoretischer aufgestellt | ||||||
15 | werden müssen, weil sie sonst aus der Theologie Theosophie, aus | ||||||
16 | der moralischen Teleologie Mystik und aus der Psychologie eine Pneumatik | ||||||
17 | machen, und so Dinge, von denen wir doch etwas in praktischer | ||||||
18 | Absicht zum Erkenntniß benutzen könnten, ins Überschwengliche hin verlegen, | ||||||
19 | wo sie für unsre Vernunft ganz unzugänglich sind und bleiben. | ||||||
20 | Die Metaphysik ist hiebey selbst nur die Idee einer Wissenschaft, als | ||||||
21 | Systems, welches nach Vollendung der Kritik der reinen Vernunft aufgebaut | ||||||
22 | werden kann und soll, wozu nunmehr der Bauzeug, zusammt der | ||||||
23 | Verzeichnung vorhanden ist: ein Ganzes, was, gleich der reinen Logik, | ||||||
24 | keiner Vermehrung, weder bedürftig, noch fähig ist, welches auch beständig | ||||||
25 | bewohnt, und im baulichen Wesen erhalten werden muß, wenn | ||||||
26 | nicht Spinnen und Waldgeister, die nie ermangeln werden, hier Platz | ||||||
27 | zu suchen, sich darin einnisteln, und es für die Vernunft unbewohnbar | ||||||
28 | machen sollen. | ||||||
29 | Dieser Bau ist auch nicht weitläufig, dürfte aber der Eleganz halber, | ||||||
30 | die gerade in ihrer Präcision, unbeschadet der Klarheit, besteht, die Vereinigung | ||||||
31 | der Versuche und des Urtheiles verschiedener Künstler nöthig | ||||||
32 | haben, um sie als ewig und unwandelbar zu Stande zu bringen, und so | ||||||
33 | wäre die Aufgabe der Königlichen Academie, die Fortschritte der Metaphysik | ||||||
34 | nicht blos zu zählen, sondern auch das zurückgelegte Stadium | ||||||
35 | auszumessen, in der neuern kritischen Epoche völlig aufgelöset. | ||||||
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