Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 309

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Also ist es schlechterdings unmöglich zu wissen, ob nach dem Tode des      
  02 Menschen, wo seine Materie zerstreuet wird, die Seele, wenn gleich ihre      
  03 Substanz übrig bleibt, zu leben, d.i. zu denken und zu wollen fortfahren      
  04 könne, d.i. ob sie ein Geist sey (denn unter diesem Worte versteht man      
  05 ein Wesen, was auch ohne Körper sich seiner und seiner Vorstellungen      
  06 bewußt seyn kann), oder nicht.      
           
  07 Die Leibnitz-Wolfische Metaphysik hat uns zwar hierüber theoretisch-dog      
  08 dogmatisch viel vordemonstrirt, d.i. nicht allein das künftige Leben der      
  09 Seele, sondern sogar die Unmöglichkeit, es durch den Tod des Menschen      
  10 zu verlieren, d.i. die Unsterblichkeit derselben zu beweisen vorgegeben,      
  11 aber Niemand überzeugen können; vielmehr läßt sich a priori einsehen,      
  12 daß ein solcher Beweis ganz unmöglich sey, weil innere Erfahrung allein      
  13 es ist, wodurch wir uns selbst kennen, alle Erfahrung aber nur im Leben,      
  14 d.i. wenn Seele und Körper noch verbunden sind, angestellet werden kann,      
  15 wir mithin, was wir nach dem Tode seyn und vermögen werden, schlechterdings      
  16 nicht wissen, der Seele abgesonderte Natur also gar nicht erkennen      
  17 können, man müßte denn etwa den Versuch zu machen sich getrauen,      
  18 die Seele noch im Leben außer den Körper zu versetzen, welcher      
  19 ohngefähr dem Versuche ähnlich seyn würde, den jemand mit geschlossenen      
  20 Augen vor dem Spiegel zu machen gedachte, und auf Befragen, was er      
  21 hiemit wolle, antwortete: ich wollte nur wissen, wie ich aussehe, wenn ich      
  22 schlafe.      
           
  23 In moralischer Rücksicht aber haben wir hinreichenden Grund, ein      
  24 Leben des Menschen nach dem Tode (dem Ende seines Erdenlebens) selbst      
  25 für die Ewigkeit, folglich Unsterblichkeit der Seele anzunehmen, und diese      
  26 Lehre ist ein praktisch-dogmatischer Überschritt zum Übersinnlichen, d.i.      
  27 demjenigen, was bloße Idee ist, und kein Gegenstand der Erfahrung seyn      
  28 kann, gleichwohl aber objective, aber nur in praktischer Rücksicht g tige,      
  29 Realität hat. Die Fortstrebung zum höchsten Gut, als Endzweck, treibt      
  30 zur Annehmung einer Dauer an, die jener ihrer Unendlichkeit proportionirt      
  31 ist, und ergänzet unvermerkt den Mangel der theoretischen Beweise,      
  32 so daß der Metaphysiker die Unzulänglichkeit seiner Theorie nicht fühlt,      
  33 weil ihm in Geheim die moralische Einwirkung den Mangel seiner, vermeyntlich      
  34 aus der Natur der Dinge gezogenen Erkenntniß, welche in      
  35 diesem Fall unmöglich ist, nicht wahrnehmen läßt.      
           
  36 Das sind nun die drey Stufen des Überschrittes der Metaphysik zum      
  37 Übersinnlichen, das ihren eigentlichen Endzweck ausmacht. Es war vergebliche      
           
           
           
     

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