Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 298 |
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01 | können, wir dieses in praktischer Absicht anzunehmen, a priori genöthigt | ||||||
02 | werden. | ||||||
03 | So ist für den Theil des Publikums, der nichts mit dem Getreidehandel | ||||||
04 | zu thun hat, das Voraussehen einer schlechten Ernte ein bloßes | ||||||
05 | Meynen, nachdem die Dürre den ganzen Frühling hindurch anhaltend | ||||||
06 | gewesen, nach derselben ein Wissen, für den Kaufmann aber, dessen | ||||||
07 | Zweck und Angelegenheit es ist, durch diesen Handel zu gewinnen, ein | ||||||
08 | Glauben, daß sie schlecht ausfallen werde, und er also seine Vorräthe | ||||||
09 | sparen müsse, weil er etwas hiebey zu thun beschließen muß, indem es | ||||||
10 | in seine Angelegenheit und Geschäfte einschlägt, nur daß die Nothwendigkeit | ||||||
11 | dieser nach Regeln der Klugheit genommenen Entschließung | ||||||
12 | nur bedingt ist, statt dessen eine solche, die eine sittliche Maxime voraussetzt, | ||||||
13 | auf einem Prinzip beruhet, das schlechterdings nothwendig ist. | ||||||
14 | Daher hat der Glaube in moralisch-praktischer Rücksicht auch an sich | ||||||
15 | einen moralischen Werth, weil er ein freyes Annehmen enthält. Das | ||||||
16 | Credo in den drey Artikeln des Bekenntnisses der reinen praktischen | ||||||
17 | Vernunft: Ich glaube an einen einigen Gott, als den Urquell alles Guten | ||||||
18 | in der Welt, als seinen Endzweck; — ich glaube an die Möglichkeit, zu | ||||||
19 | diesem Endzweck, dem höchsten Gut in der Welt, sofern es am Menschen | ||||||
20 | liegt, zusammenzustimmen; — ich glaube an ein künftiges ewiges Leben, | ||||||
21 | als der Bedingung einer immerwährenden Annäherung der Welt zum | ||||||
22 | höchsten in ihr möglichen Gut; — dieses Credo, sage ich, ist ein freyes | ||||||
23 | Fürwahrhalten, ohne welches es auch keinen moralischen Wert haben | ||||||
24 | würde. Es verstattet also keinen Imperativ (kein crede), und der Beweisgrund | ||||||
25 | dieser seiner Richtigkeit ist kein Beweis von der Wahrheit dieser | ||||||
26 | Sätze, als theoretischer betrachtet, mithin keine objective Belehrung von der | ||||||
27 | Wirklichkeit der Gegenstände derselben, denn die ist in Ansehung des Übersinnlichen | ||||||
28 | unmöglich, sondern nur eine subjectiv-, und zwar praktisch-gültige, | ||||||
29 | und in dieser Absicht hinreichende Belehrung, so zu handeln, als ob wir | ||||||
30 | wüßten, daß diese Gegenstände wirklich wären, welche Vorstellungsart hier | ||||||
31 | auch nicht in technisch-praktischer Absicht als Klugheitslehre (lieber zu | ||||||
32 | viel, als zu wenig anzunehmen) für nothwendig angesehen werden muß, | ||||||
33 | weil sonst der Glaube nicht aufrichtig seyn würde, sondern nur in moralischer | ||||||
34 | Absicht nothwendig ist, um dem, wozu wir so schon von selbst | ||||||
35 | verbunden sind, nämlich der Beförderung des höchsten Gutes in der Welt | ||||||
36 | nachzustreben, noch ein Ergänzungsstück zur Theorie der Möglichkeit | ||||||
37 | desselben, allenfalls durch bloße Vernunftideen hinzuzufügen, indem | ||||||
38 | wir uns jene Objecte, Gott, Freyheit in praktischer Qualität, und Unsterblichkeit, | ||||||
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