Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 291 |
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| 01 | Beschränkung unsrer Erkenntniß zurück, und was in der Analytik vorher | ||||||
| 02 | a priori dogmatisch bewiesen worden war, wird hier in der Dialektik gleichsam | ||||||
| 03 | durch ein Experiment der Vernunft, das sie an ihrem eigenen Vermögen | ||||||
| 04 | anstellt, unwidersprechlich bestätigt. In Raum und Zeit ist das | ||||||
| 05 | Unbedingte nicht anzutreffen, was die Vernunft bedarf, und es bleibt | ||||||
| 06 | dieser nichts, als das immerwährende Fortschreiten zu Bedingungen | ||||||
| 07 | übrig, ohne Vollendung desselben zu hoffen. | ||||||
| 08 | Zweytens: Der Widerstreit dieser ihrer Sätze ist nicht bloß logisch, | ||||||
| 09 | der analytischen Entgegensetzung (contradictorie oppositorum), d.i. | ||||||
| 10 | ein bloßer Widerspruch, denn da würde, wenn einer derselben wahr ist, | ||||||
| 11 | der andre falsch sein müssen, und umgekehrt. Z.B. die Welt ist dem | ||||||
| 12 | Raume nach unendlich, verglichen mit dem Gegensatze, sie ist im | ||||||
| 13 | Raume nicht unendlich; sondern ein transscendentaler der synthetischen | ||||||
| 14 | Opposition (contrarie oppositorum), z.B. die Welt ist dem | ||||||
| 15 | Raume nach endlich, welcher Satz mehr sagt, als zur logischen Entgegensetzung | ||||||
| 16 | erfordert wird; denn er sagt nicht bloß, daß im Fortschreiten | ||||||
| 17 | zu den Bedingungen das Unbedingte nicht angetroffen werde, sondern | ||||||
| 18 | noch, daß diese Reihe der einander untergeordneten Bedingungen dennoch | ||||||
| 19 | ganz ein absolutes Ganze sey; welche zwey Sätze darum alle beyde falsch | ||||||
| 20 | seyn können — wie in der Logik zwey einander als Widerspiel entgegengesetzte | ||||||
| 21 | (contrarie opposita) Urtheile — und in der That sind sie es auch, | ||||||
| 22 | weil von Erscheinungen, als von Dingen an sich selbst, geredet wird. | ||||||
| 23 | Drittens können Satz und Gegensatz auch weniger enthalten, als | ||||||
| 24 | zur logischen Entgegensetzung erfordert wird, und so beyde wahr seyn, — | ||||||
| 25 | wie in der Logik zwey einander bloß durch Verschiedenheit der Subjecte | ||||||
| 26 | entgegengesetzte Urtheile (judicia subcontraria) — wie dieses mit der | ||||||
| 27 | Antinomie der dynamischen Grundsätze sich in der That so verhält, wenn | ||||||
| 28 | nämlich das Subject der entgegengesetzten Urtheile in beyden in verschiedener | ||||||
| 29 | Bedeutung genommen wird, z.B. der Begriff der Ursache, als | ||||||
| 30 | causa phaenomenon in dem Satz: Alle Kausalität der Phänomene | ||||||
| 31 | in der Sinnenwelt ist dem Mechanism der Natur | ||||||
| 32 | unterworfen, scheint mit dem Gegensatz: Einige Kausalität dieser | ||||||
| 33 | Phänomene ist diesem Gesetz nicht unterworfen, im Widerspruch | ||||||
| 34 | zu stehen, aber dieser ist darin doch nicht nothwendig anzutreffen, | ||||||
| 35 | denn in dem Gegensatze kann das Subject in einem andern Sinne genommen | ||||||
| 36 | seyn, als es in dem Satze geschah, nämlich es kann dasselbe | ||||||
| 37 | Subject als causa noumenon gedacht werden, und da können beyde | ||||||
| 38 | Sätze wahr seyn, und dasselbe Subject kann als Ding an sich selbst frey | ||||||
| 39 | von der Bestimmung nach Naturnothwendigkeit seyn, was als Erscheinung, | ||||||
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