Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 266 |
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| 01 | Der zweyte Schritt ist, die Frage auch nur aufgeworfen zu haben: | ||||||
| 02 | Wie sind synthetische Urtheile a priori nöglich? Denn daß es deren gebe, | ||||||
| 03 | beweisen zahlreiche Beispiele der allgemeinen Naturlehre, vornehmlich | ||||||
| 04 | aber der reinen Mathematik. Hume hat schon ein Verdienst, einen Fall | ||||||
| 05 | anzuführen, nämlich den vom Gesetze der Kausalität, wodurch er alle | ||||||
| 06 | Metaphysiker in Verlegenheit setzte. Was wäre geschehen, wenn er oder | ||||||
| 07 | irgend ein Anderer, sie im Algemeinen vorgestellt hätte! Die ganze | ||||||
| 08 | Metaphysik hätte so lange müssen zur Seite gelegt bleiben, bis sie wäre | ||||||
| 09 | aufgelöst worden. | ||||||
| 10 | Der dritte Schritt ist die Aufgabe: „Wie ist aus synthetischen | ||||||
| 11 | Urtheilen ein Erkenntniß a priori möglich?” Erkenntniß ist ein Urtheil, | ||||||
| 12 | aus welchem ein Begriff hervorgeht, der objective Realitär hat, d.i. dem | ||||||
| 13 | ein correspondirender Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kann. | ||||||
| 14 | Alle Erfahrung aber besteht aus Erfahrung eines Gegenstandes, d.i. | ||||||
| 15 | einer unmittelbaren und einzelnen Vorstellung, durch die der Gegenstand, | ||||||
| 16 | als zum Erkenntniß gegeben, und aus einem Begriff, d.i. einer mittelbaren | ||||||
| 17 | Vorstellung durch ein Merkmal, was mehreren Gegenständen | ||||||
| 18 | gemein ist, dadurch er also gedacht wird. — Eine von beyden Arten der | ||||||
| 19 | Vorstellungen für sich allein macht kein Erkenntniß aus, und soll es synthetische | ||||||
| 20 | Erkenntnisse a priori geben: so muß es auch Anschauungen sowohl | ||||||
| 21 | als Begriffe a priori geben, deren Möglichkeit also zuerst erörtert, und | ||||||
| 22 | dann die objective Realität derselben durch den nothwendigen Gebrauch | ||||||
| 23 | derselben, zum Behuf der Möglichkeit der Erfahrung bewiesen werden muß. | ||||||
| 24 | Eine Anschauung, die a priori möglich seyn soll, kann nur die Form | ||||||
| 25 | betreffen, unter welcher der Gegenstand angeschauet wird, denn das | ||||||
| 26 | heißt, etwas sich a priori vorstellen, sich vor der Wahrnehmung, d.i. | ||||||
| 27 | dem empirischen Bewußtseyn, und unabhängig von demselben, eine Vorstellung | ||||||
| 28 | davon machen. Das Empirische aber in der Wahrnehmung, die | ||||||
| 29 | Empfindung oder der Eindruck (impressio), ist die Materie der Anschauung, | ||||||
| 30 | bey welcher also die Anschauung nicht eine Vortsellung a priori seyn würde. | ||||||
| 31 | Eine solche nun, die blos die Form betrifft, heißt reine Anschauung, die, | ||||||
| 32 | wenn sie möglich seyn soll, von der Erfahrung unabhängig seyn muß. | ||||||
| 33 | Es ist aber nicht die Form des Objectes, wie es an sich beschaffen ist, | ||||||
| 34 | sondern die des Subjectes, nämlich des Sinnes, welcher Art Vorstellung | ||||||
| 35 | er fähig ist, welche die Anschauung a priori möglich macht. Denn sollte | ||||||
| 36 | diese Form von den Objecten selbst hergenommen werden, so müßten | ||||||
| 37 | wir dieses vorher wahrnehmen, und könnten uns nur in dieser Wahrnehmung | ||||||
| 38 | der Beschaffenheit desselben bewußt werden. Das wäre aber | ||||||
| 39 | alsdann eine empirische Anschauung a priori. Ob sie aber das letztere sey | ||||||
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