Kant: AA XVIII, Metaphysik Zweiter Theil , Seite 611 |
||||||||||
Zeile:
|
Text:
|
|
|
|||||||
01 | Zeit und soll dies geschehen, so muß ich meinen innern Sinn afficiren. | |||||||||
02 | Ich denke z.B. über die Gottheit nach und verbinde mit diesen Gedanken | |||||||||
03 | das transscendentale Bewußtseyn (denn sonst würde ich nicht denken | |||||||||
04 | können), ohne mich mir dabei doch in der Zeit vorzustellen, welches geschehen | |||||||||
05 | müßte, wenn ich mir dieser Vorstellung durch meinen innern Sinn | |||||||||
06 | bewußt wäre. Geschehen Eindrücke auf meinen innern Sinn, so setzt dies | |||||||||
07 | voraus, daß ich mich selbst afficire (ob es gleich uns unerklärbar ist, wie | |||||||||
08 | dies zugeht) und so setzt also das emprische Bewußtseyn das transscendentale | |||||||||
09 | voraus. | |||||||||
10 | In unserm innern Sinn wird unser Daseyn in der Zeit bestimmt | |||||||||
11 | und setzt also die Vorstellung der Zeit selbst voraus; in der Zeit aber ist | |||||||||
12 | die Vorstellung des Wechsels enthalten; Wechsel setzt etwas Beharrliches | |||||||||
13 | voraus, woran es wechselt und welches macht, daß der Wechsel wahrgenommen | |||||||||
14 | wird. Die Zeit selbst ist zwar beharrlich, aber sie kann allein nicht | |||||||||
15 | wahrgenommen werden, foglich muß es ein Beharrliches geben, woran | |||||||||
16 | man den Wechsel in der Zeit wahrnehmen kann. Dies Beharrliche können | |||||||||
17 | wir selbst nicht seyn, denn wir sind eben als Gegenstand des innern Sinnes | |||||||||
18 | durch die Zeit bestimmt; es kann also das Beharrliche blos in dem, was | |||||||||
19 | durch den äußern Sinn gegeben wird, gesetzt werden. So setzt also Möglichkeit | |||||||||
20 | der innern Erfahrung Realität des äußern Sinnes voraus. Denn | |||||||||
21 | gesetzt man wollte sagen, auch die Vorstellung des durch den äußern Sinn | |||||||||
22 | gegebenen Beharrlichen sey blos durch den innern Sinn gegebene Wahrnehmung, | |||||||||
23 | die nur durch die Einbildungskraft als durch den äußern Sinn | |||||||||
24 | gegeben vorgestellt wird, so würde es doch überhaupt (wenn auch gleich | |||||||||
25 | nicht für uns) möglich seyn müssen, sich derselben als zum innern Sinn | |||||||||
26 | gehörig, bewußt zu werden; aber dann würde die Vorstellung des Raumes | |||||||||
27 | in eine Vorstellung der Zeit verwandelt werden, d.h. es würde möglich | |||||||||
28 | seyn, den Raum sich als eine Zeit (nach einer Dimension) vorzustellen, | |||||||||
[ Seite 610 ] [ Seite 612 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
||||||||||