Kant: AA XVIII, Metaphysik Zweiter Theil , Seite 288 |
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01 | Erfahrenheit langer Zeiten, vielleicht auch die durch den berühmten Baco | |||||||||
02 | von Verulam in Gang gebrachte behutsame Nachforschung der Natur | |||||||||
03 | durch Beobachtung und Experiment nicht allein in den Behauptungen | |||||||||
04 | der Naturwissenschaft, sondern nach der Analogie auch in allen übrigen | |||||||||
05 | gebracht hat, von welcher die Alten nichts wusten und so an schwankende | |||||||||
06 | Meynungen gewohnt waren. Hierin kan uns schwerlich ein künftiges | |||||||||
07 | Zeitalter übertreffen, wen wir gleich von diesen Principien der | |||||||||
09 | Sicherlich übertrift uns hierin kein Vergangenes (g Zeitalter ), und dieses | |||||||||
10 | kan also der (g wissenschaftliche ) Character des unsrigen genannt werden. | |||||||||
11 | In aller Wissenschaft ist, wenn wir von Menge von Kentnissen abstrahiren, | |||||||||
12 | ist die Wesentliche Absicht, daß sie sich von der bloßen Meynung | |||||||||
13 | unterscheide, mithin die Gewißheit. Die Methode, deren man sich in ihr | |||||||||
14 | bedient, ist blos das Mittel, zu dieser zu gelangen. Gewisheit ist die | |||||||||
15 | Unveranderlichkeit der Vorwarhaltens. Unveränderlich aber ist das Vorwarhalten | |||||||||
16 | entweder obiectiv: wenn wir erkennen, daß kein überwiegender | |||||||||
17 | Grund zum Gegentheil an sich moglich sey, oder subiectiv: | |||||||||
18 | wenn wir überzeugt sind, daß weder wir noch irgend ein Mensch jemals | |||||||||
19 | größerer Gründe zum Gegentheil habhaft werden könne. | |||||||||
20 | Das (g mit Bewustseyn ) unveranderliche Vorwarhalten ist Wissen, | |||||||||
21 | das subiectiv unveränderliche Vorwarhalten Glauben. Das zwar Vorwarhalten | |||||||||
22 | mit dem Bewustseyn seiner Veränderlichkeit ist Meynen. | |||||||||
23 | Beyspiel an der Geschichte. Das Wort Glauben kan entweder in | |||||||||
24 | Ansehung die Qvelle unserer Erkentnis oder die Art und den Grad des | |||||||||
25 | Vorwarhaltens derselben bedeuten. In der ersteren Bedeutung kan keine | |||||||||
26 | Erkentnis durch der Geschichte anders als durch ein Zutrauen zu Zeugnissen | |||||||||
27 | anderer, d.i. dadurch, daß wir anderen Glauben, entspringen. In | |||||||||
28 | der zweyten Bedeutung kan eine Geschichtskunde allerdings ein Wissen | |||||||||
29 | seyn und S. II: bedarf es nicht, dem Grade des Vorwarhaltens nach von | |||||||||
30 | der eigenen Erfahrung, der sie den Nahmen des Wissens nicht streiten, | |||||||||
31 | unterschieden zu durch die Benennung des Glaubens unterschieden zu | |||||||||
32 | werden. So weiß man, daß ein Ludwig XIV. gelebt hat, eben so sicher | |||||||||
33 | als ob er ihn selbst gesehen hätte, und so ist ein guter Theil der Geschichte | |||||||||
34 | wahre Wissenschaft; das Vorwarhalten ist darinn obiectiv unveränderlich. | |||||||||
35 | Es ist unmoglich, daß jemals hinreichende Gründe zum Gegentheil desselben | |||||||||
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