Kant: AA XVIII, Metaphysik Zweiter Theil , Seite 094 |
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5115. υ2-3. M L. E II 213. |
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02 | Es ist ein seltsames Schiksal des Menschlichen Verstandes, wenn er | |||||||||
03 | sich, es sey durch einen natürlichen Hang oder auch durch die Wichtigkeit | |||||||||
04 | und das wahre Interesse, was ihn antreibt, in eine Wissenschaft verwikelt | |||||||||
05 | und dazu gleichsam verurtheilt sieht, die nach Jahrhundert langen | |||||||||
06 | Bemühungen bey vereinigter Kraft der scharfsinnigsten Kopfe doch nicht | |||||||||
07 | einen Schritt weiter gebracht werden kann. Will man die Bemühung | |||||||||
08 | (g unwillig ) aufgeben, so würden wir theils durch einen besonderen Hang zieht | |||||||||
09 | uns theils die Natürliche Bewegung unseres Geistes dazu zurück, theils | |||||||||
10 | stoßen wir allerwerts auf Fragen in ansehung unsrer wichtigsten Angelegenheit, | |||||||||
11 | in ansehung deren wir nicht anders als durch einige Einsicht | |||||||||
12 | in diesem Felde befriedigt werden konnen. Von dieser Art kenne ich zum | |||||||||
13 | Glück der Menschen nur eine einzige Wissenschaft, nemlich Metaphysik, | |||||||||
14 | eine theoretische Philosophie der reinen, d.i. von allen Erfahrungsqvellen | |||||||||
15 | freyen Vernunft, sie ist der Stein des sysyphus, an dem man rastlos | |||||||||
16 | wältzt und ohne ihn jemals an seine bleibende Stelle zu bringen. Wenn | |||||||||
17 | ich sage, sie sey nicht einen einzigen Schritt weiter gebracht, so verstehe | |||||||||
18 | ich darunter nicht die Zergliederung der Vernunftbegriffe; denn die ist | |||||||||
19 | nichts anderes als die größere Aufklärung dessen, was wir schon wissen, | |||||||||
20 | und hierin haben verschiedene in genauer Bestimmung der Wortbedeutungen | |||||||||
21 | vieles gethan. Aber das ist es nicht, was man sucht; sondern | |||||||||
22 | Erkenntnisse der Gegenstände, die uns durch keine Sinne gelehrt | |||||||||
23 | werden können, die uns also nicht beywohnen, sondern gesucht und geschaffen | |||||||||
24 | werden sollen: diese sind es, in ansehung deren alle Arbeit bis | |||||||||
25 | itzt vergeblich gewesen. Man kann sich davon leicht überzeugen, wenn | |||||||||
26 | man auch nur erwägt, daß auch nur eine einzige Erkenntnis, die ein bestimmter | |||||||||
27 | Beytrag zu Wissenschaft ist, von jedermann davor muß aufgenommen | |||||||||
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