Kant: AA XV, Reflexionen zur Anthropologie. , Seite 607 |
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| 1394. π. M 301'. 301. E I 674. 662. 675. |
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| 02 | M 301': | |||||||
| 03 | Zu moralischem Zwange wird gar nicht erfodert, daß alle Menschen | |||||||
| 04 | tugendhaft sind; es ist nur nothig, daß die Gewonheit überhand genommen | |||||||
| 05 | nehme, offentliche Achtung blos der Tugend zu beweisen. Dieses Geschieht | |||||||
| 06 | nicht durch Verbesserung des Herzens, sondern des sentiments. aber das | |||||||
| 07 | Herz wird dadurch mit verbessert. | |||||||
| 08 | Die iustitia distributiva von der Art ist eigentlich in den Handen | |||||||
| 09 | des publici. Jetzt rührt alles übel daher, daß die Obrigkeit nach Sitten | |||||||
| 10 | gar nicht fragt, sondern Talenten, Geschiklichkeit und Fleis, und das Urtheil | |||||||
| 11 | des Gemeinen Wesens stumm ist. Ehrliche Leute werden sich sammlen, | |||||||
| 12 | aber Bosewichter nicht, sondern sie müssen sich bessern. Die Achtung kan | |||||||
| 13 | man einem entziehen ohne ihn offentlich zu beleidigen. Denn ienes kommt | |||||||
| 14 | blos auf mich an. Das Urtheil des Frauenzimmers in dem Stük ist das | |||||||
| 15 | wichtigste. So wie die Bäume im Walde nur dadurch, daß sie dicht neben | |||||||
| 16 | einander stehen, gerade wachsen (g und hoch, weil, da sie sich die Luft zur | |||||||
| 17 | seite benehmen, sie solche in ihrer Erhebung über den Boden und im aufwarts | |||||||
| 18 | steigen suchen müssen. Sie schützen sich vor Winde und erhalten | |||||||
| 19 | einander den Schatten so wohl als die Wärme und pflegen besser ihre | |||||||
| 20 | junge Zucht. ) und sich doch selbst Platz schaffen: so werden Menschen im | |||||||
| 21 | Naturzustande und Freyheit krum und krüppelhaft, aber in bürgerlicher | |||||||
| 22 | Gesellschaft gerade. Sie müssen sich unter einander bilden und ziehen. | |||||||
| 23 | Jetzt ist iedes moral isolirt; denn wird sie in dem allgemeinen sentiment | |||||||
| 24 | eingeflochten seyn und ihn interessiren, weil sie bei anderen in Anschlag | |||||||
| 25 | kommt. Wir richten gerne einander; ist das nicht ein Wink der natur? | |||||||
| 26 | ingleichen unsere furcht vor anderer Urtheil? daß wir nemlich einen Beruf | |||||||
| 27 | haben, einer des anderen Sitten zu bilden. | |||||||
| 28 | Durch Neigung bilden sich kleine Gesellschaften, durch Bedürfnis | |||||||
| 29 | bürgerliche und durch Krieg staaten. Dieser Wachsthum ist unabsehlich, | |||||||
| 30 | aber sich selbst und den Menschen verderblich. was Ist die letzte Folge? | |||||||
| 31 | Daß der Staat ein Korper freyer bürgerlicher Gesellschaften ist, welcher | |||||||
| 32 | wiederum mit noch größeren ein Corps ausmacht, so wie die systeme der | |||||||
| 33 | Sterne. | |||||||
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