Kant: AA XII, Briefwechsel 1797 , Seite 228 |
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01 | ich doch meinen mich beglückenden goldnen Trauring ohne als Bergknappe | ||||||
02 | in den Schacht gefahren zu seyn. | ||||||
03 | Ich stehe noch immer auf meiner außerordentlichen Stufe: das | ||||||
04 | heißt ich bin seit 21 Iahren der geringste unter den Aposteln der | ||||||
05 | Petri Kirche. Es ist kein Avancement in diesem Regimente. Durch | ||||||
06 | den Tod des Königes bin ich freilich in Etwas degradirt. So lange | ||||||
07 | war ich in allen Preußischen Staaten der einzige königliche regierende | ||||||
08 | Beichtvater, und jetzt bin ich verwittwet mütterlicher Beichtvater. | ||||||
09 | Nehmen Sie mich aber ja nicht für so Etwas als die katholischen | ||||||
10 | Beichtväter sind. Einmahl bin ich bloß auf den Imperatif der Heiligkeit | ||||||
11 | der Pflicht berufen um ein rein moralischer Beichtvater zu seyn, | ||||||
12 | und dann ist mein Geschäft bloß das königliche Herz bey der Feyer | ||||||
13 | des Abendmahls durch zwey äußerst kleine Predigten in die gehöhrige | ||||||
14 | Stellung zu rücken. Absolution überlasse ich dem der allein absolviren | ||||||
15 | kann. Ich bemühe mich nur dem innern Menschen den Spiegel des | ||||||
16 | Gewißens, der bisweilen wohl behaucht seyn mag, zu reinigen. Das | ||||||
17 | geschiehet jedesmahl in einem Zimmer voll von 45 großen und kleinen | ||||||
18 | Spiegeln. | ||||||
19 | Unser lieber junger König erhebt unser Herz mit herrlichen Hoffnungen, | ||||||
20 | die um so weniger werden unerfüllt bleiben können, da der | ||||||
21 | Iüngling Genz ihn so väterlich belehret hat. Ich mögte zur Übung | ||||||
22 | im Griechischen und aus Vaterlandes Liebe Isokratis Rede an den | ||||||
23 | Nicocles übersetzen und sie dem Könige allerunterthänigst doch im | ||||||
24 | strengsten incognito überreichen. Es würde doch dünkt mich schicklicher | ||||||
25 | seyn daß ein alter Grieche den König belehrte: als ein junger sehr | ||||||
26 | berlinischer Berliner. | ||||||
27 | Fast aller Herzen singen "Auf Triumph bey dem krachenden Sturz | ||||||
28 | der Eiche, unter welcher so Viele - sich gemästet hatten - Man lieset | ||||||
29 | das F. W. R. nunmehr Friedrich - wahrer Regent. | ||||||
30 | Unter dem 27ten Dec. hat das Ober Consistorium alle ihm geraubten | ||||||
31 | Rechte der Examination, Censur etc. wieder bekommen und mithin wird | ||||||
32 | wohl die Glaubens Comißion wie die Tabaksfirma aufgehoben seyn. | ||||||
33 | Ach es wird einem so wohl wenn der Nebel gefallen ist und die Sonne | ||||||
34 | sichtbar und wirksam wird. Nun wird auch wohl selbst die Religion | ||||||
35 | innerhalb der Grenzen der Vernunft durch die Censur kommen können; | ||||||
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