Kant: AA XII, Briefwechsel 1795 , Seite 033 |
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Text (Kant):
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| 01 | nicht einige, ob zwar von demselben Gemüth empfangen, doch außer | ||||||
| 02 | dem Gemüth wären (welches ein Widerspruch ist). | ||||||
| 03 | Nun tritt aber die große Bedenklichkeit ein: daß da das Wasser, | ||||||
| 04 | als Flüssigkeit, nicht füglich als organisirt gedacht werden kann, gleichwohl | ||||||
| 05 | aber ohne Organisation, d. i. ohne zweckmäßige und in ihrer | ||||||
| 06 | Form beharrliche Anordnung der Theile, keine Materie sich zum unmittelbaren | ||||||
| 07 | Seelenorgan schickt, jene schöne Entdeckung ihr Ziel noch | ||||||
| 08 | nicht erreiche. | ||||||
| 09 | Flüssig ist eine stetige Materie, deren jeder Theil innerhalb dem | ||||||
| 10 | Raum, den diese einnimmt, durch die kleinste Kraft aus ihrer Stelle | ||||||
| 11 | bewegt werden kann. Diese Eigenschaft scheint aber dem Begriff einer | ||||||
| 12 | organisirten Materie zu widersprechen, welche man sich als Maschine, | ||||||
| 13 | mithin als starre,*) dem Verrücken ihrer Theile (mithin auch der | ||||||
| 14 | Aenderung ihrer inneren Configuration) mit einer gewissen Kraft | ||||||
| 15 | widerstehende Materie denkt; sich aber jenes Wasser zum Theil flüssig, | ||||||
| 16 | zum Theil starr, denken (wie etwa die Crystallfeuchtigkeit im Auge): | ||||||
| 17 | würde die Absicht, warum man jene Beschaffenheit des unmittelbaren | ||||||
| 18 | Sinnorgans annimmt, um die Function desselben zu erklären, auch | ||||||
| 19 | zum Theil zernichten. | ||||||
| 20 | Wie wäre es, wenn ich statt der mechanischen, auf Nebeneinanderstellung | ||||||
| 21 | der Theile zu Bildung einer gewissen Gestalt beruhenden, | ||||||
| 22 | eine dynamische Organisation vorschlüge, welche auf | ||||||
| 23 | chemischen (so wie jene auf mathematischen) Principien beruhet, und | ||||||
| 24 | so mit der Flüssigkeit jenes Stoffs zusammen bestehen kann? - So | ||||||
| 25 | wie die mathematische Theilung eines Raumes und der ihn einnehmenden | ||||||
| 26 | Materie (z. B. der Gehirnhöhle und des sie erfüllenden | ||||||
| 27 | Wassers) ins Unendliche geht, so mag es auch mit der chemischen | ||||||
| 28 | als dynamischen Theilung (Scheidung verschiedener in einer Materie | ||||||
| 29 | wechselseitig von einander aufgelöseter Arten) beschaffen seyn, daß sie, | ||||||
| 30 | so viel wir wissen, gleichfalls ins unendliche ( in indefinitum ) geht. | ||||||
| 31 | Das reine, bis vor Kurzem noch für chemisches Element gehaltene, | ||||||
| 32 | gemeine Wasser wird jetzt durch pnevmatische Versuche in zwey verschiedene | ||||||
| 33 | Luftarten geschieden. Iede dieser Luftarten hat, ausser ihrer | ||||||
| 34 | Basis, noch den Wärmestoff in sich, der sich vielleicht wiederum von | ||||||
| *) Dem Flüssigen (fluidum) muß eigentlich das Starre (rigidum), wie es auch Euler im Gegensatz mit dem ersteren braucht, entgegengesetzt werden. Dem Soliden ist das Hohle entgegenzusetzen. | |||||||
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