Kant: AA XI, Briefwechsel 1791 , Seite 263 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | will durchaus alle Aufmerksamkeit an sich ziehen. Aber so viel ich | ||||||
02 | auch aufgemerkt habe, so verstehe ich doch kein Wort und sehe nichts | ||||||
03 | ein von seiner Theorie des Vorstellungsvermögens. Dem Professor | ||||||
04 | Iakob bin ich gut, bis auf seine Büchermacherey. Er ist wirklich ein | ||||||
05 | Mann von guter Denkungsart. Aber er hat kritische Versuche seinem | ||||||
06 | Hume angehängt, welche ein schlechtes Contrefait dazu sind. Er will | ||||||
07 | hin und wieder Mathematicker darin scheinen, und da er es doch nicht | ||||||
08 | ist, so begeht er ausserordentliche Absurditäten. Im verlaufenen Winter | ||||||
09 | halben Iahre hat er die Logick und Metaphysick, eine empirische Psychologie | ||||||
10 | und einen moralischen Beweiß des Daseyns Gottes geschrieben. | ||||||
11 | Auf die Art verdirbt man viel. Denn statt dem Publicum bey einer | ||||||
12 | der Menschheit interessanten Angelegenheit behülflich zu seyn, bringt | ||||||
13 | man dem denkenden Theil desselben Verdacht gegen die gute Sache bey. | ||||||
14 | Sonst ist Iakob gewiß ein guter Mann, den ich aber noch weit mehr | ||||||
15 | lieben würde, wenn Philosophie ihm mehr Herzenssache als Vortheilssache | ||||||
16 | wäre. Ich halte mich lediglich an die Kritick und lese nichts | ||||||
17 | mehr was von Gegnern oder Freunden derselben geschrieben ist. | ||||||
18 | Herr Kiesewetter hat an Iakob geschrieben, daß die Ostermesse | ||||||
19 | Ihre Moral herauskommen würde. Auf diese bin ich begierig. Denn | ||||||
20 | es schweben mir in diesem Felde noch manche Dunkelheiten vor, die | ||||||
21 | eine Moral von Ihnen aufhellen wird. | ||||||
22 | Daß Herr Prof. Iakob jetzt hier Professor ordinarius geworden, | ||||||
23 | werden Sie aus seinem Briefe an Sie wahrscheinlich schon erfahren | ||||||
24 | haben. Die Giessener haben dem Magister Schmidt die Vocation angetragen. | ||||||
25 | Er hat sie aber wie mir Iakob sagt, ausgeschlagen, weil | ||||||
26 | er in Iena eine Predigerstelle und sonst gute Aussichten hat. | ||||||
27 | Sie verlangten daß ich unfrankirt an Sie schreiben sollte. Dann | ||||||
28 | aber nehmen Sie es mir auch wohl nicht übel, daß ich einen Brief | ||||||
29 | an Herrn Pr. Kraus einlege. | ||||||
30 | Herr Professor Klügel empfiehlt sich Ihnen. Er sagt, die Ursache | ||||||
31 | warum Sie von Freunden und Gegnern nicht verstanden werden, ist | ||||||
32 | weil diese nicht Mathematicker sind. | ||||||
33 | Ich bin mit der lautersten Hochachtung | ||||||
34 | Halle | der Ihrige | |||||
35 | den 1 ten Iuny 1791. | Beck. | |||||
[ Seite 262 ] [ Seite 264 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |