Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 238 |
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01 | als das Gehör, weil die Tonleiter nur eine Dimension, das | ||||||
02 | Gesichtsfeld hingegen zwey Dimensionen mit sich bringt, worinn überdie | ||||||
03 | der Spielraum der Standpunkte viel grösser ist, als bey der | ||||||
04 | Tonleiter; Bey den Stellen des Gesichtsfeldes sowohl als bey den | ||||||
05 | Stellen der Tonleiter wird nicht an Mischung gedacht. | ||||||
06 | So weit der Auszug: nun komme ich zu den Stellen aus Ihrer | ||||||
07 | Critik der Urtheilskraft: ich führe dieselbe nicht durchaus mit Ihren | ||||||
08 | Worten an, theils um kurz zu seyn, theils um eine Probe zu geben, | ||||||
09 | wie fern ich den Sinn derselben treffe. Sie sagen S. 209. Man kann | ||||||
10 | nicht mit Gewißheit sagen, ob eine Farbe, oder ein Ton (Klang) bloß | ||||||
11 | angenehme Empfindungen, oder an sich schon ein schönes Spiel von | ||||||
12 | Empfindungen seyn. - Für bloß angenehm möchte man Farben und | ||||||
13 | Töne halten, weil man von den Licht= und Luftbebungen nur die Wirkung | ||||||
14 | auf den Sinn vernimmt, die bloß empfunden wird, nicht aber | ||||||
15 | die Zeiteintheilung, die ein Gegenstand der Reflexion wäre; für bloß | ||||||
16 | schön hingegen, erstlich weil man sich die Proportion der Schwingungen | ||||||
17 | bey Tönen und auf ähnliche Weise die Farbenabstechung mathematisch | ||||||
18 | bestimmbar vorstellt; und zweytens, weil scharfsehende oft Farben verwechseln, | ||||||
19 | ebenso, wie scharfhörende auch Töne oft falsch angeben oder | ||||||
20 | schätzen können. Hierauf darf ich erwiedern: man kann bey dem besten | ||||||
21 | Gesichte ein schlechtes Augenmaß haben, und bey dem besten Gehöre | ||||||
22 | die Aussprache einer fremden Sprache falsch vernehmen, daß man nicht | ||||||
23 | im Stande ist, sie treffend nachzuahmen, aus Mangel an Fertigkeit, | ||||||
24 | nicht bloß der Sprachwerkzeuge, sondern des Gehörs; und was den | ||||||
25 | ersten Punct betrifft, so sind im Gesichtsfelde nicht allein Farbenmischungen, | ||||||
26 | sondern vornemlich die scheinbare Grössen darinn, und | ||||||
27 | vor dem Sinn des Gehörs nicht allein die Töne, sondern auch stufenweise | ||||||
28 | Mischungen von Klängen, wie in der angeführten Vocalenleiter, | ||||||
29 | einer mathematischen Bestimmung fähig; und auf diese Art sind sichtbare | ||||||
30 | und hörbare Qualitäten und Quantitäten, nemlich Farben, und Klänge, | ||||||
31 | scheinbare Grössen und Töne sowohl objectiv genau bestimmbar als | ||||||
32 | auch subjectiv einer möglichen fehlerhaften Schätzung unterworfen; und | ||||||
33 | es steht hier also nichts im Wege, warum Musik nicht ein schönes | ||||||
34 | Spiel angenehmer Empfindungen, und Farbenkunst nicht auch ein | ||||||
35 | schönes Spiel derselben heissen könnte. Daß Sie nicht abgeneigt | ||||||
36 | seyn werden, meine Vergleichungen der Farben und Töne zu billigen, | ||||||
37 | darf ich aus S. 19 schliessen, wo Sie sagen: - Dem einen ist die | ||||||
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