Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 237 |
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01 | Erregung in einem elastischen Mittel, ihr Fortrücken, ihre Ausbreitung, | ||||||
02 | den Durchgang und die Zurückprallung ihrer Strahlen, und, in Ansehung | ||||||
03 | unseres Standpunctes, die Schätzung der Gegend, wo das Licht | ||||||
04 | und der Schall herkommen. Bey so mannichfaltiger Uebereinstimmung | ||||||
05 | ist es natürlich, unter den Erscheinungen des Lichts eine zu suchen, | ||||||
06 | die sich mit den Stufen der Tonleiter vergleichen liesse, und eine unter | ||||||
07 | den Erscheinungen des Schalls, die mit den Farben des Prisma übereinkäme, | ||||||
08 | und leicht verfällt man also darauf, also die Töne mit den | ||||||
09 | Farben zu vergleichen. Ich wage es die Richtigkeit dieser Vergleichung | ||||||
10 | zu bestreiten. Alles, was wir sehen, hat Farbe und eine Stelle im | ||||||
11 | Gesichtsfelde, und, was wir hören, specifiken Klang, und eine Stelle in | ||||||
12 | der Tonleiter. Farbe ist dem Auge, was specifiker Klang dem Ohre | ||||||
13 | ist, und die Stelle eines sichtbaren Punktes im Gesichtsfelde dem Auge, | ||||||
14 | was dem Ohre eine gegebene Stelle in der Tonleiter. Durch den | ||||||
15 | Sinn des Gesichts vergleicht und unterscheidet man die Farben nach | ||||||
16 | ihrer Mischung, durch den Sinn des Gehörs die Verschiedenheiten des | ||||||
17 | Klangs verschiedener und gleicher auf verschiedene Art gerührter Instrumente, | ||||||
18 | auch nach einer Art von Mischung, die bey den Stellen der | ||||||
19 | Tonleiter nicht Statt findet. Die Farben für das Gehör scheinen viel | ||||||
20 | mannichfaltiger zu seyn, als für das Gesicht. Letztere lassen sich alle | ||||||
21 | auf weiß, gelb, roth, blau und schwarz reduciren, aber die Elemente | ||||||
22 | für alle Arten von Klang sind vielleicht unerschöpflich: ein Beyspiel | ||||||
23 | davon ist die menschliche Sprache. Darinn sind die Vocalen insonderheit | ||||||
24 | merkwürdig, daß sie zu einem Systeme zu gehören scheinen, | ||||||
25 | welches sich als vollständig denken läßt. a und i, und u sind die | ||||||
26 | Hauptvocalen; e steht zwischen a und i, ä zwischen a und e, o zwischen | ||||||
27 | a und u, å zwischen a und o; ü zwischen u und i, ö zwischen o und e. | ||||||
28 | Bey dem Diphthongen ai werden mit einem Schwunge der Sprachwerkzeuge | ||||||
29 | alle mögliche von a nach i laufende Zwischenstufen in einer | ||||||
30 | stetigen Folge ausgesprochen; ebenso sind die übrigen Diphthongen | ||||||
31 | beschaffen; sie sind stetig von einer Stelle des stetigen Vocalensystems | ||||||
32 | zur andern übergehende Mischungen, ähnlich dem Farbenspiele der | ||||||
33 | Seifenblasen. Auf der andern Seite beruht das Hervorbringen und | ||||||
34 | Schätzen der Töne, der Accorde und der Melodien auf der Ausmessung | ||||||
35 | der Tonleiter, so wie die Verzeichnung von Puncten und Zügen, mit | ||||||
36 | ihren Proportionen und Gestalten auf der Ausmessung des Gesichtsfeldes, | ||||||
37 | und hierinn gewährt umgekehrt das Gesicht eine grössere Mannichfaltigkeit | ||||||
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