Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 225 |
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01 | bestens Ihrer Erinnerung, und versichert Sie durch mich Seiner lebhaftesten | ||||||
02 | Dankbarkeit für die vortreflichen Lehren, die er zur Ausbildung | ||||||
03 | seines Herzens und Kopfs von Ihnen erlangt hat. Ich bin | ||||||
04 | mit ihm von Göttingen bis nach Halle gereiset, und habe in seiner | ||||||
05 | Gesellschaft eine äusserst interessante und angenehme Reise gehabt. Der | ||||||
06 | Gegenstand unserer Unterredungen war vorzüglich unser geliebtes Vaterland, | ||||||
07 | woran wir ein gleiches Interesse nahmen, und der Mann, für | ||||||
08 | den unser beyder Herz die lauterste und ungeheuchelteste Hochachtung | ||||||
09 | und Verehrung fühlt. In Hannover besuchte ich gleich nach meiner Ankunft | ||||||
10 | den Herr Gh. S[ecretär] Rehberg einen Ihrer vorzüglichsten Verehrer | ||||||
11 | und Anhänger. Er ist ein junger Mann von etwa 30 Iahren, der | ||||||
12 | mir aber beym ersten Besuch eben nicht sehr gefiel. Er schien sehr | ||||||
13 | verschloßen, etwas kalt, und sehr genirt zu seyn, daher ich mich auch | ||||||
14 | nur einige Minuten bey ihm verweilte. In seinem Hause sah ich die | ||||||
15 | marmorne Buste zur Verewigung des berühmten Leibnitz. - Denselben | ||||||
16 | Tag Nachmittags machte er mir noch die Gegenvisite, war weit | ||||||
17 | freundschaftlicher und ofner und sehr gesprächig, und bat mich für den | ||||||
18 | andern Mittag bey sich zu Tische, wo ich in Gesellschaft seiner achtungswerthen | ||||||
19 | Mutter, seiner liebenswürdigen Schwester und des jungen | ||||||
20 | Herrn Brandes speisete, und ich zähle diesen Tag unter die angenehmste, | ||||||
21 | die ich auf meiner Reise durchlebt habe. Herr Gh. S. Rehberg ist in | ||||||
22 | seinem Gespräche ein sehr bescheidener Mann, aber man kann darinn | ||||||
23 | den Mann von Kopf, Originalität der Gedanken, und ausgebreiteter | ||||||
24 | Gelehrsamkeit nicht verkennen. Ich halte ihn für den feinsten Kopf | ||||||
25 | unter allen Ihren Schülern, die ich bis jetzt noch habe kennen lernen. | ||||||
26 | Von Ihrer Critik der p. Vernunft spricht er mit einer Wärme, als | ||||||
27 | ich noch nie einen Menschen über eine Schrift habe sprechen hören. | ||||||
28 | Er wird mit der Zeit ein Naturrecht schreiben, worinn er zeigen wird, | ||||||
29 | daß es darinn eben solche Antinomien der Vernunft gebe, als in der | ||||||
30 | speculativ. Philosophie und Moral. Seine Bescheidenheit und weil er | ||||||
31 | wußte daß Sie so sehr mit Briefen belästiget werden hat ihn abgehalten, | ||||||
32 | an Sie zu schreiben; doch hat er jetzt gewagt, in einem Briefe | ||||||
33 | an Nicolovius einige Fragen zu schicken, davon er sich bey Gelegenheit | ||||||
34 | die Auflösung von Ihnen gütigst erbittet. In Hannover besuchte ich auch | ||||||
35 | noch den Ritter v. Zimmermann, der äusserst artig mich empfieng. Ich | ||||||
36 | war beym ersten Besuch über 1 Stunde bey ihm, er erkundigte sich gleichfalls | ||||||
37 | nach Ihrem Befinden und bat mich ihn zu empfhelen. Den andern | ||||||
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