Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 222

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 er mich zu Professor Tiedemann der aber nicht in der Stadt war,      
  02 mithin habe ich ihn auch nicht gesprochen. Dann gieng er mit mir      
  03 zu einem andern Ihrer Verehrer und zwar einen Bekehrten, den HofR.      
  04 Jung, der sich sehr freute mich zu sehen weil ich ihm Nachrichten von      
  05 Ihnen mittheilen konnte, und mich bat ihm bey Ihnen bestens zu      
  06 empfhelen. Ein gleiches that der Geh. R. Selchow zu dem mich Prof      
  07 B. führte, weil S. so ein närrischer Mensch ist, und mit dem er mich      
  08 durch aus bekannt machen wollte, da ich einmahl in Marburg war.      
  09 Zuletzt gieng ich zu Baldinger der mich auch nicht vor Abend von sich      
  10 ließ. - Nie habe ich die Menschheit so in Verfall gesehen! Ich könnte      
  11 ganze Bogen über ihn schreiben, doch ich erspare es mir Ihnen mündlich      
  12 zu erzählen. Von Marburg gieng ich nach Cassel, wo ich wieder      
  13 ein paar Tage anhielt um die Merkwürdigkeiten der Natur und Kunst      
  14 so wohl innerhalb als in der Nachbarschaft der Stadt zu besehen.      
  15 Von literarischen Neuigkeiten ist mir aber an diesem Orte nichts vorgekommen.      
  16 - Endlich langte ich Dienstag den 21sten Septb. in Göttingen      
  17 an. Ich besuchte sogleich meinen Freund Prof Arnemann wo      
  18 ich meinem heissen Verlangen gemäs Briefe von meinen Königsbergschen      
  19 Freunden fand, die mir einen wahren Festtag machten. Herzinniglich      
  20 freuete ich mich in allen Briefen die Versicherung zu lesen,      
  21 daß ich noch in meiner Vaterstadt in gutem Andenken stehe. Vorzüglich      
  22 aber war ich erfreut in den 3 Briefen, durch die Sie mir die      
  23 Bekanntschaft der 3 berühmtesten Lehrern Göttingens verschaften, einen      
  24 neuen schätzbaren Beweis Ihrer Güte und Gewogenheit für mich zu      
  25 finden. Zuerst besuch teich den folgenden Morgen Hof Rath Blumenbach,      
  26 der ein offener und liebenswürdiger Mann ist. Er fühlte sich durch      
  27 Ihren Brief sehr geschmeichelt, erbot sich mir jeden Dienst während      
  28 meinen Aufenthalt in Göttingen zu erweisen. Sonnabend speisete ich      
  29 bey ihm zu Abend. Sontag Vormittag führte er mich ins Musäum etc.      
  30 Er hat mir beikommenden Brief für Sie gegeben, wie auch das 1ste      
  31 Stück seiner Beyträge zur Naturgeschichte, die ich aber bis auf beqveme      
  32 Gelegenheit zurükbehalte, weil ich glaube, daß Sie es schon gelesen      
  33 haben, und es auch zu unwichtig ist es durch die Post zu überschicken.      
  34 Denselben Tag gab ich auch den Brief an Lichtenberg und Kaestner      
  35 ab. Herr Hof.R Lichtenberg hielt eben Vorlesungen und da es mitten      
  36 in der Stunde war, wollte ich ihn nicht stöhren ließ daher den Brief      
  37 und meine Addresse zurük. Er fährt gleich nach geendigten Vorlesungen      
           
     

[ Seite 221 ] [ Seite 223 ] [ Inhaltsverzeichnis ]