Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 209

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 müßte wie diese zu einer negativen *) welche sich, ohne Zeitbedingung      
  02 damit zu bewegen, aus bloßen Größenbegriffen erkennen läßt. So      
  03 bald aber, statt α, die Zahl, wovon es das Zeichen ist, gegeben wird,      
  04 um die Wurzel derselben nicht blos zu bezeichnen, wie in der      
  05 Algebra, sondern auch zu finden, wie in der Arithmetik: so ist die      
  06 Bedingung aller Zahlerzeugung, die Zeit, hiebey unumganglich zum      
  07 Grunde liegend und zwar als reine Anschauung, in welcher wir nicht      
  08 allein die gegebene Zahlgröße sondern auch von der Wurzel, ob sie      
  09 als ganze Zahl, oder, wenn dieses nicht möglich ist, nur durch eine      
  10 ins Unendliche abnehmende Reihe von Brüchen, mithin als Irrationalzahl      
  11 gefunden werden könne, uns belehren können.      
           
  12 Daß nicht der bloße Verstandsbegrif von einer Zahl, sondern      
  13 eine Synthesis in der Zeit, als einer reinen Anschauung, dem Begriffe      
  14 der Qvadratwurzel einer bestimmten Zahl, z. B. der Zahl 15, zum      
  15 Grunde gelegt werden musse, ist daraus klar: daß wir aus dem bloßen      
  16 Begriffe einer Zahl allein niemals beurtheilen können, ob die Wurzel      
  17 derselben rational oder irrational seyn werde. Wir müssen es mit ihr      
  18 versuchen, entweder, indem wir in Zahlen bis 100 die Producte      
  19 aller kleineren ganzen Zahlen in sich selbst mit dem gegebenen Qvadrat      
  20 blos nach dem Einmaleins vergleichen, oder in größeren durch Eintheilung      
  21 desselben, nach dem allgemein bewiesenen Satze, der Bestandtheile      
  22 eines Qvadrats, einer zwey= oder überhaupt vieltheiligen Wurzel,      
  23 die Theile derselben nach und nach suchen, in allen aber, wo der Versuch      
  24 mit einer in sich selbst multiplicirten ganzen Zahl nicht das      
  25 Qvadrat giebt, die Theiler der Einheit, nach einer gewissen Proportion,      
  26 z. B. der decadischen, wachsen lassen, welche zu Nenner einer ins      
  27 Unendliche abnehmenden Reihe von Brüchen dienen, die, weil sie nie      
  28 vollendet seyn kan, obgleich sich der Vollendung so nahe bringen läßt      
  29 als man will, die Wurzel (aber nur auf irrationale Art) ausdrückt.      
           
  30 Gesetzt nun, wir könnten nicht a priori beweisen und auch nicht      
  31 wie es zugehe erklären: daß, wenn die Wurzel einer gegebenen      
  32 Größe nicht in ganzen Zahlen gefunden werden kan, sie      
  33 auch nicht in Brüchen bestimt (gleichwohl aber doch so weit annäherend      
  34 als man will) gegeben werden könne, so würde dieses ein      
  35 *) Da dieses wiedersprechend ist so ist √ √-a der Ausdruck für eine unmögliche      
  36 Größe.      
           
     

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