Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 080

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 also möglich seyn, daß ein Subject A eine Sache C durch die Erfahrung      
  02 sich vorstellen lernen könne, welche alle Erfahrungen doch selbst      
  03 erst möglich machen soll. Wie kann also der Begriff des Raums aus      
  04 dem dunkeln Chaos der ersten sinnlichen Eindrükke hervor gegangen      
  05 seyn? - doch ich will Ew. Wohlgeb. mit meinen seichten Wiederlegungen      
  06 nicht ferner incommodiren, sondern blos die Einwürfe, die      
  07 ich mir selbst gemacht habe, HE. Professor Feder in den Mund legen      
  08 und Ihre Lösung derselben erwarten, um sie mit den Meinigen zusammen      
  09 zu halten. Aber könte Herr Feder sagen: die Schwere macht      
  10 den Fall der Körper, denen ich ihr fulcrum entziehe, doch auch erst      
  11 möglich und ist doch nicht die subjective Bedingung unter der wir uns      
  12 allein den fallenden Körper vorstellen können: denn tausend haben      
  13 einen Begriff von dem was fallen heist, ohne sich die Schwere vorzustellen.      
  14 So sehr ich einsehe, daß dieser Fall gar nicht identisch mit      
  15 dem vorigen Satz ist, so traute ich mir doch zu bey mehrerem speculativem      
  16 Nachdencken hierher passend zu machen. Auf eine ähnliche      
  17 vorausgesetzte Sache muß Herr Feder wenigstens seinen Satz, "die      
  18 Vorstellung des Raums, als allmähliches Produkt der mit einander      
  19 vereinigten Empfindungen des Gesichts und des Gefühls zu halten",      
  20 gebaut haben. Es ist wahr das Beyspiel der Blindgebohrnen lehrt      
  21 daß ihn das Gesicht nicht erzeuge, aber ob auch nicht das Gefühl?      
  22 das ist doch einer Untersuchung werth. 1 , ist es doch ausgemacht, da      
  23 die Vorstellung vom Raume durch und an dem Gefühl ( tactus ) entwikkelt      
  24 werde und wenn auch 2, der Gedancke der Seele, ein Finger      
  25 sey auser dem andern schon den Begriff vom Raume voraussetzt;      
  26 So entwikkelt sich ja auch das Gefühl viel eher beym Menschen als      
  27 die Seele denken kann. So bald der männliche Saame nemlich das      
  28 weibliche Ey befruchtet hat, so entstehet in der Höle der Gebährmutter      
  29 ein feines Adern Gewächse u. am 17 Tag nach der Empfängniß entstehet      
  30 die menschliche Gestalt, mit diesem Gewachse steht durch den      
  31 Nabelring der junge foetus in einer steten Verbindung. Seit der      
  32 Empfängnis aber und bis zur Geburth werden stete Eindrüke auf      
  33 das junge Körperchen gemacht, die in der Bewegung bestehen, ja vom      
  34 4 Monathe an bewegt sich das Körperchen selbst. Folglich gehet doch      
  35 vor dem Zustand klarer Vorstellungen der Seele, oder vor der Geburth,      
  36 ein Zustand der Seele vorher, da sie sich diese eigene Bewegungen      
  37 ihres Körperchens oder den Druck des Mutterkuchens auf      
           
     

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