Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 079

     
           
 

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  01 allem Eifer, ohne alle Anweisung auf Mathematik. Ohngeachtet ich      
  02 publice und privatim täglich 11 Stunden arbeiten muste und meine      
  03 Berufsgeschäffte stets redlich erfülte so habe ich mich doch durch die      
  04 ganze höhere und niedere Geometrie durchgearbeitet und die Analysis      
  05 des Endlichen und Unendlichen genau durchdacht. Schulzens Einleitung      
  06 in Ew. Wohlgeb: Vernunfftkritik und Iacobs Logik und      
  07 Kritik der Metaphysik haben mir nun auch den Schlüßel zu der      
  08 Kritik selbst gegeben. Eben dieses Successive fortschreiten in den      
  09 Wissenschafften erregte nun seit einem Iahre den Wunsch in mir, eine      
  10 andere Versorgung zu bekommen, wo ich mich den Wissenschafften      
  11 ganz und mit mehr Muße widmen könte. Ich schrieb desfals an      
  12 das geistliche Departement nach Berlin und erhielt den Bescheid, da      
  13 ich in Franckfurth an der Oder pro Doctoris gradu disputiren, die      
  14 Disputation dem geistlichen Departement einsenden und das weitere erwarten      
  15 solle. Dies will ich zu Gallus thun und den Satz; "der      
  16 Raum ist kein empirischer Begriff, der von äusern Erfahrungen abgezogen      
  17 worden", vertheidigen. Ich teile Ew. Wohlgeb. dahero einen      
  18 Einwurf gegen diesen Satz mit, erbitte mir die Lösung desselben, die      
  19 ich zwar selbst schon gewagt habe, die ich aber doch noch nicht für      
  20 apodiktisch halte. Es würde mir sehr lieb seyn, wenn ich baldige Antwort      
  21 von Ihnen erhielte, weil ich meine dispute eher nicht will druken      
  22 lassen, bis ich Ihren Brief erhalten und Ihre etwanigen Winke benutzt      
  23 habe. Besonders bis ich weiß ob ich Sie denn auch eigentlich verstanden      
  24 habe. Ein Geständniß daß einem 29jährigen Manne, in      
  25 meiner individuellen Lage, in den Augen des großen Königsbergschen      
  26 Philosophen keine Schande machen wird.      
           
  27 Ihren Satz beweisen Sie also: "Damit gewisse Empfindungen      
  28 auf etwas außer mir bezogen werden, (d. h. auf etwas in einem      
  29 andern Orte des Raums, als darinn ich mich befinde) ingleichen      
  30 damit ich sie als außer und neben ein ander, mithin nicht blos verschieden,      
  31 sondern auch als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu      
  32 muß die Vorstellung des Raums schon zum Grunde liegen." Herrn      
  33 Feders Einwurf den er S. 23. in seiner Schrifft über Raum und      
  34 Caussalitaet macht, trifft Sie nicht, er hätte es darthun müssen, da      
  35 ein Subject A gewisse Beziehungen einer Sache x die ich B nennen      
  36 will sich vorstellen könne, ohne daß es an die Form C gebunden wäre,      
  37 welche diese Beziehungen B ihm selbst erst möglich macht. Es müste      
           
     

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