Kant: AA X, Briefwechsel 1788 , Seite 556

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 dagegen Postulate d. i. unmittelbar gewisse practische Urtheile. Denn      
  02 wenn ich 3 + 4 für den Ausdruk eines Problems ansehe, nämlich      
  03 zu den Zahlen 3 und 4 eine dritte - 7 zu finden, zu welcher die      
  04 eine als das complementum ad totum der anderen betrachtet wird,      
  05 so geschieht die Auflösung durch die einfachste Handlung, die keine      
  06 besondere Vorschrift der Resolution bedarf, nämlich durch die successive      
  07 addition die die Zahl 4 hervorbringt, nur als Fortsetzung des Zählens      
  08 der Zahl 3 angestellt. Das Urtheil 3 + 4 = 7 scheint zwar ein blos      
  09 theoretisch Urtheil zu seyn und ist es auch obiectiv betrachtet subiectiv      
  10 aber bezeichnet das + eine Art der Synthesis, aus zwey gegebenen      
  11 Zahlen eine dritte zu finden und eine Aufgabe, die keiner Auflösungsvorschrift      
  12 noch eines Beweises bedarf, mithin ist das Urtheil ein      
  13 Postulat. Gesetzt nun es wäre ein analytisches Urtheil, so müßte      
  14 ich gerade eben dasselbe bey 3 + 4 als bey 7 denken und das Urtheil      
  15 würde nur meines Gedanken mich klärer bewust machen. Weil nun      
  16 12 - 5 = 7 eine Zahl = 7 giebt, bey der ich wirklich eben dasselbe      
  17 denke, was ich vorher bey 3 + 4 dachte, so würde, nach dem Satze      
  18 eadem vni tertio sunt eadem inter se , ich, wenn ich 3 und 4 denke,      
  19 zugleich 12 und 5 denken welches dem Bewustseyn zuwieder ist.      
           
  20 Alle Analytische Urtheile durch Begriffe haben das an sich, da      
  21 sie ein Prädicat auch allenfalls nur als Theilbegrif im Begriffe des      
  22 Subiects enthalten vorstellen können; nur die Definition erfodert, da      
  23 beyde conceptus reciproci seyn. Allein in einem Arithmetischen Urtheile,      
  24 nämlich einer Aeqvation, müssen beyde Begriffe 3 + 4 und 7      
  25 durchaus conceptus reciproci und obiectiv totaliter identisch seyn. Die      
  26 Zahl 7 also muß wohl nicht aus dem Begriffe der Aufgabe, 3 und 4      
  27 in eine Zahl zusammen zu fassen, durch Zergliederung desselben, sondern      
  28 durch die Construction, d. i. synthetisch, entsprungen seyn, welche      
  29 [die] den Begrif der Zusammensetzung zweyer Zahlen in einer Anschauung      
  30 a priori nämlich eine einzelne Aufzählung darstellt. - Der      
  31 Begrif eines Qvanti wird hier nicht construirt, sondern der der      
  32 Qvantität. Denn daß 3 und 4, als so viel Begriffe von der Größe,      
  33 zusammengesetzt, den Begrif von einer Größe geben könnten, war ein      
  34 bloßer Gedanke: die Zahl sieben ist nun die Darstellung dieses Begrifs      
  35 in einer Zusammenzählung.      
           
  36 Die Zeit hat, wie Sie ganz wohl bemerken, keinen Einflus auf      
  37 die Eigenschaften der Zahlen (als reiner Größenbestimmungen), so wie      
           
     

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