Kant: AA X, Briefwechsel 1787 , Seite 516 |
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01 | mir nicht natürlich ist hiebey anzunehmen und nur Misverständnisse | ||||||
02 | durch Erläuterungen zu heben gesucht. den 31 sten Decembr. IK. | ||||||
03 | Beyliegenden Brief an Hrn Prof. Schütz bitte ergebenst | ||||||
04 | abgeben zu lassen. | ||||||
314. | |||||||
06 | Von Christian Gottlieb Selle. | ||||||
07 | 29. Dec. 1787. | ||||||
08 | Wohlgeborner, Hochgelahrter Herr | ||||||
09 | Höchstzuverehrender Herr Profeßor, | ||||||
10 | Es gehört zu den mancherlei Unterlaßungs=Sünden, deren ich mich | ||||||
11 | schuldig weiß, daß ich die öffteren Gelegenheiten, die sich mir ehemals, | ||||||
12 | Ihre Bekanntschafft zu machen, darboten, so ungenutzt laßen. Bescheidener | ||||||
13 | Stoltz war es, der mich fürchten ließ, entweder Ihnen beschwerlich | ||||||
14 | zu fallen, oder doch nicht derjenigen Aufmercksamkeit von | ||||||
15 | Ihnen gewürdigt zu werden, deren ich mich werth hielt. Und so blieb | ||||||
16 | es dabei. Aber vom ersten Anfange meiner Bekanntschafft mit der | ||||||
17 | Philosophie war ich Ihr Verehrer u. bin es noch. Desto sonderbarer | ||||||
18 | werden Sie es finden, daß ich gerade jetzt mich an Sie wende, da ich | ||||||
19 | öffentlich gegen Sie aufzutreten scheine. Aber ich habe eine zu große | ||||||
20 | Meinung von Ihnen, als daß ich Ihre Gesinnungen mit denjenigen | ||||||
21 | gewöhnlicher und gemeiner Menschen verwechseln solte. Ich bin gewohnt, | ||||||
22 | freimüthig nach meiner Ueberzeugung zu reden. Das habe ich | ||||||
23 | in beifolgender Schrifft auch in Rücksicht auf Ihre Philosophie gethan. | ||||||
24 | Aber unendlich leid würde es mir thun, wenn Sie diesen Wiederspruch | ||||||
25 | nicht ganz für das nähmen, was er ist, sondern mich zur Klaße jener | ||||||
26 | Menschen herabwürdigten, die gern an berühmten Männern zu Rittern | ||||||
27 | werden möchten. | ||||||
28 | Seit ich anfing, meine gesamleten Erfahrungs=Kenntniße zu vergleichen, | ||||||
29 | zu sondern, zu verallgemeinern, wurde ich von der Wahrheit | ||||||
30 | überzeugt, daß Erfahrung die einzige Quelle unsers Wißens sei u. | ||||||
31 | daß der leere u. unbefriedigende Inhalt unserer philosophischen Systeme | ||||||
32 | hauptsächlich daher rühre, weil man diese Quelle vernachläßigte. Ich | ||||||
33 | unterfing mich daher eine Metaphysick (Urbegriffe u.s.f.) zu schreiben, | ||||||
34 | die nur aus verallgemeinerten Erfahrungsbegriffen bestand; Wenige | ||||||
35 | waren damit zufrieden, weil sie ans Demonstriren a priori gewohnt | ||||||
36 | waren. Doch tröstete ich mich damit, daß ich es der Zeit überließ, | ||||||
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