Kant: AA X, Briefwechsel 1787 , Seite 486 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | für die Seelenkunde, und Prinzeninformator am Braunschweigschen | ||||||
02 | Hofe, hatte mit dem jüngsten Prinzen eine Reise nach Königsberg | ||||||
03 | projettirt, die ihm aber durch einen Zufall traversirt worden: unterdeßen | ||||||
04 | hat er sich von Göttingen aus, Abschriften von ihrer Moral und | ||||||
05 | Anthropologie geben laßen, die er dem Prinzen seit einem halben | ||||||
06 | Iahre vorträgt. Ia bei meiner vierzehntägigen Anwesenheit in Haag | ||||||
07 | in Holland, fand ich an dem zweyten Tage meines Aufenthalts zufälliger | ||||||
08 | Weise einen Herrn van Ruyther, der sehr viel teutsche Litteraturkentniße | ||||||
09 | hatte, und sehr gut französisch sprach, in dem Marschall von | ||||||
10 | Türenne, einem dortigen Hotel, ihre Critik in der Hand, einsam in | ||||||
11 | seinem Zimmer sizzen, welchem ich dann höchst willkommen war, und | ||||||
12 | täglich vier bis fünf Stunden, ohngeachtet meiner ganz ungleichartigen | ||||||
13 | Beschäftigungen an dem Ort, die ganze zwey Wochen hindurch mit | ||||||
14 | ihm zubringen muste. Auf gleiche Weise fand ich in Leyden an dem | ||||||
15 | Lieutenant v. Hogendorp, der eine Woche nachher Doctor der Rechte | ||||||
16 | wurde, und sich dem Civil widmete, einen lebhaften Partheinehmer | ||||||
17 | Ihrer Philosophie. Mit dem ersten van Ruyther bin ich seit einem | ||||||
18 | halben Iahre in einer philosophischen Correspondenz gestanden: und | ||||||
19 | er hat zwey Bogen meines Manuscripts, worinn ich ihm Auszüge und | ||||||
20 | Anmerkungen über ihr System der Moral übersandte, ohne mein | ||||||
21 | Wißen, in die Hager-Verhandelungen, einer periodischen Schrift in Haag, | ||||||
22 | einrükken laßen, die er mir vor vier Wochen im holländischen Original | ||||||
23 | übermacht hat. | ||||||
24 | Ihre Grundlage zur Metaphysik der Sitten, mein Herr Prof., | ||||||
25 | findt ungleich mehr Widerspruch unter den Gelehrten von meiner Bekantschaft, | ||||||
26 | als ihre Critik, und man will sich unmöglich überzeugen | ||||||
27 | laßen, daß die Natur die Moral auf so tiefen Gründen gebaut habe: | ||||||
28 | indeßen haben mir einige Göttinger mit Enthusiasmus die höchst | ||||||
29 | neuen und auffallenden Wahrheiten derselben geschrieben: alles sieht | ||||||
30 | nur mit Sehnsucht ihrer Metaphysik der Sitten entgegen. Ihre Anfangsgründe | ||||||
31 | der Naturwißenschaft, dieser Probierstein ihres Philosophischen | ||||||
32 | Systems, ist bis iezt noch wenig gelesen, und die es gelesen, | ||||||
33 | finden es durchgängig schwerer, als die Critik selbst, das Capitel der | ||||||
34 | Deduction, ausgenommen. | ||||||
35 | Ihr Rezensent in der deutschen Bibliothek soll Probst Pistorius | ||||||
36 | auf Femarn, seyn, der Uebersezzer des Hartley: seine Rezension ihrer | ||||||
37 | Grundlage etc., ob sie gleich, bei aller scheinbaren Strenge nicht tief | ||||||
[ Seite 485 ] [ Seite 487 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |